- 11 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Als zweite Dimension ästhetischer Erfahrung ist das "Verstehen der Intention des Werkes" zu begreifen. Adorno erläutert den Begriff Intention, indem er ihn in Entsprechung setzt zu dem, was in der traditionellen Ästhetik "Idee" des Werkes genannt wird, und verweist dazu exemplarisch auf "die Schuldhaftigkeit subjektiver Moralität in Ibsens Wildente". Es handelt sich hier nicht, wie eine isolierende Betrachtung nahelegen könnte, um die dem Kunstwerk vorausliegende subjektive Intention des Künstlers. Es ist bekannt, daß heute viele Künstler in Kommentaren zu ihren Werken die Absichten bzw. Ideen, die ihnen bei der Komposition vorschwebten, mitteilen, um ein besseres Verstehen zu erreichen. Demgegenüber betont Adorno, daß die subjektive Intention - durch ihre spannungsreiche Vermittlung mit dem ("geschichtlichen") Material - eingeht in die Objektivität des gestalteten Werkes. Insofern ist die Rede von der "Intention des Werkes" eine sehr bewußte; sie hat im Blick, was das Kunstwerk "von sich aus bekunden will".


Andererseits unterstreicht Adorno, daß die Intention des Werkes nicht gleich seinem Gehalt ist. Beide sind strikt voneinander zu unterscheiden. 31) Das notwendige Bemühen um das Verständnis der Intention bleibt, wenn es sich auf diese allein konzentriert, "vorläufig". Es ergreift noch nicht den "Wahrheitsgehalt" der Werke.


Damit wird eine weitere Dimension sichtbar: diejenige, in der sich ästhetische Erfahrung erst vollendet. Hier geht es um das Erfassen des Gehalts der Kunstwerke, den Adorno in nachdrücklichen Wiederholungen als ein "Geistiges" charakterisiert und der für ihn Wahrheit oder Unwahrheit in sich birgt. Das Innewerden des Gehalts bezieht sich einerseits auf dessen "Verhältnis zu Stoff, Erscheinung und Intention" des Kunstwerks, andererseits auf "seine eigene Wahrheit oder Falschheit". Erst von dem Punkte ab, wo die Erfahrung der Werke "die Alternative von wahr und unwahr erreicht", werden sie nach Adorno wirklich verstanden.


Die zentrale Forderung Adornos, daß Ästhetik - und damit ästhetische Erfahrung - sich "in der Perspektive auf Wahrheit" bewegen müsse, setzt voraus, daß die Wahrheit "bis ins Innerste geschichtlich" ist, einen "Zeitkern" hat. Unter den verschiedenen Umschreibungen, mit denen Adorno seine Formel vom "Wahrheitsgehalt der Kunstwerke" zu verdeutlichen sucht, scheint mir besonders aufschlußreich jene, die diesen Gehalt dem "fortgeschrittensten", d.h. dem die Zeitsituation in ihren Widersprüchen durchschauenden Bewußtsein 32) zuordnet und daraus folgert: "Als Materialisation fortgeschrittensten Bewußtseins ... ist der Wahrheitsgehalt der Kunstwerke bewußtlose Geschichtsschreibung." Wie oben bereits angezeigt besagt dies, daß das Geschehende sich in den künstlerischen Produktionen ausprägt, daß es von ihnen gleichsam mitgeschrieben und der Deutung zugänglich gemacht wird - allerdings nur für eine ästhetische Erfahrung, die den vom Werk ausgehenden Forderungen gerecht zu werden sucht und sich mit ganzer Kraft auf den Gehalt der Werke einläßt. Ein dieser Erfahrung immanenter Grundzug ist nach Adornos Verständnis Kritik. 33) Als kritische aber ist die ästhetische Erfahrung von einer wachsamen Empfänglichkeit für das Unwahre und Inhumane des geschichtlich-gesellschaftlichen Ganzen, dem das Werk entwachsen ist und auf das es zurückverweist: "Ein Kunstwerk als Komplexion


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