- 12 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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von Wahrheit begreifen, bringt es in Relation zu seiner Unwahrheit", denn es gibt kein Gebilde der Kunst, das nicht teilhätte an dem Unwahren, von dem es umgeben ist, d.h. dem Unwahren "des Weltalters".


Daß die ins Kunstwerk eingehende Wahrheit nichts Feststehendes - und darum nichts Fest-zu-stellendes - ist, 34) daß also der Wahrheitsgehalt der Werke nie endgültig bestimmt werden kann, läßt Adorno vom "Rätselcharakter" der Kunst sprechen. 35) Damit markiert er zugleich die Grenze der ästhetischen Erfahrung. Die Rätselhaftigkeit, das Unverstehbare der Kunstwerke, worauf die ästhetische Erfahrung stößt, ist von ihr allein nicht mehr auszuloten. Den Rätselcharakter als solchen sich zum Gegenstand zu machen, ist Aufgabe der Philosophie. So treibt die ästhetische Erfahrung notwendig über sich selbst hinaus zur philosophischen Reflexion als einem "denkenden Verhalten", das sich die Kunstwerke nicht mehr allein immanent erschließt, sondern zugleich über sie hinausgreift und sie auch "von draußen" angeht. 36) In diesen Bereich der philosophischen Deutung folgen wir hier den Gedanken Adornos nicht mehr. Doch mußte die Grenze, an die ästhetische Erfahrung stößt und an der sie in Philosophie übergeht, schon deshalb sichtbar gemacht werden, weil von ihr her die Eigenart und Leistung dieser Erfahrung eine besondere Beleuchtung empfängt: "Philosophie", so wagt Adorno zu formulieren, "wohnt aller ästhetischen Erfahrung inne". 37) Was damit gemeint ist, kommt in den Blick, wenn wir nunmehr das bisher Aufgewiesene noch einmal durchlaufen und einer notwendigen Revision unterziehen.


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In analytischer Absicht wurden drei Dimensionen der ästhetischen Erfahrung unterschieden: 1. das (unmittelbare) Wahrnehmen des ästhetischen Objekts, 2. das Verstehen seiner Intention, 3. das Erkennen seines Wahrheitsgehalts. Diese Unterscheidung ist weder als eine die einzelnen verselbständigende Trennung noch als ein bestimmtes Nacheinander, eine feste Reihenfolge aufzufassen. Der von Adorno nicht gebrauchte Terminus "Dimension", den wir gewählt haben, sollte sowohl auf das Vermitteltsein des Unterschiedenen im Ganzen der Erfahrung hinweisen wie auch die Vorstellung einer hierarchischen Abfolge fernhalten. (Der in der Frühen Einleitung verwendete Begriff der "Schichten" ist eher irreführend.) Möglich wäre es auch, durchgängig von "Momenten" im hegelschen Sinne zu sprechen.


Adorno setzt durchaus einleuchtend und nachvollziehbar ein mit der Unmittelbarkeit der lebendigen Wahrnehmung. Aber er bezeichnet es sofort als "willkürlich", den hier gewählten Anfang als Anfang der Erfahrung überhaupt "fixieren" zu wollen. Die Distanzierung des wahrnehmenden Subjekts von seinem Objekt, die ästhetische Erfahrung im Sinne Adornos überhaupt erst ermöglicht, ist ein Akt des Bewußtseins, nicht der Wahrnehmung. "Wer nicht weiß, was er sieht oder hört, genießt nicht das Privileg unmittelbaren Verhaltens zu den Werken, sondern ist unfähig, sie wahrzunehmen." 38) Die distanzierende Arbeit des Bewußtseins durchbricht bzw. verwandelt die Unmittelbarkeit, die sie zugleich voraussetzt und festhält. In dieser ihrer Komplexität entspricht


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