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- 6 - aus: Batya Gur, Das Lied der Könige


Heft, »ist ein allegro. Er beginnt nur mit den ersten Geigen, in d-Moll, der Tonart des Requiems von Mozart.«

Seine Finger hämmerten auf den Tisch, er summte freudlos eine kurze Melodie.

»Dies ist ein aufsteigender d-Moll-Akkord als Sechzehntel-Tremolo, dann kommt ein absteigendes Motiv, und dann«, sein Finger folgte den Noten, während er erklärte, »kommt die zweite Stimme in der Geige. Nachdem auch sie das absteigende Motiv wiederholt, kommen die Bässe in der Nachahmung der Geigen - das ist ein Fugato«, sagte er und hob die Augen vom Papier zu Michael. »Ihr Einsatz ist ein Fugato, und erst nach acht Takten, die sie zusammenspie-len, erfolgt die Rückkehr zur Eröffnung, dann kommt der Chor im Tutti, alle vier Stimmen bei den Worten >Dies irae<, die«, er rieb sein Gesicht mit den Händen, blätterte um, lächelte und murrte, als würde er auf eine sehr bekannte Geste, fast einen Zaubertrick eines alten Bekannten stoßen, »in einer überraschenden Weise komponiert sind.«

Er versank in sich selbst.

 »Es ist nicht zu glauben, daß er mir das vorenthalten hat«, murmelte er. »Vielleicht hatte er die Absicht, es mir zu sagen, als er aus den Niederlanden zurückkehrte«, sagte er und sah die Noten an. »Vielleicht, wenn ich ihn am Flughafen abgeholt hätte. Vielleicht hatte er es damals vor. Aber ich bin nicht gekommen, denn ich war so gekränkt. Und das hat ihn wiederum gekränkt...«

»Was ist überraschend an dieser Komposition?« fragte Michael und hörte, wie Balilati hinter ihm leise seufzte.

Isi Maschiach faßte sich. »Das Überraschende dabei ist, daß das >i< von >irae< - sehen Sie, hier die Noten«, sein behandschuhter Finger schwebte über den ersten Notenlinien, »eine lange Silbe ist. Bei Mozart ist das >Di< lang und das >irae< kurz. Und Vivaldi betont genau umgekehrt. Und dann kommt etwas, das für Vivaldi sehr typisch ist!« Er nickte begeistert mit dem Kopf. »Und das sind Geigenläufe im Umfang einer Oktave. Hier drückt er die Angst vor dem Fegefeuer oder so etwas aus. Wissen Sie, was das >Dies irae< ist?«

»Was meinen Sie?« wich Michael aus. Balilati stand sehr nah hinter Michael, der seinen Atem spüren konnte.

»Der Text des >Dies irae< handelt vom Jüngsten Gericht, vom Tag des Zorns. >Dies irae, dies illa, solvet saeclum in favilla, teste David cum Sibylla« (Tag des Zornes, Tag der Sünden, wird das Weltall sich entzünden, wie Sibyll und David künden). Und wenn Sie hier schauen«, wieder schwebte der Finger, »sehen Sie, daß es bei dem Wort >Sibylla< ruhig wird. Der Sturm legt sich. Und...« Er sah das Blatt erstaunt an.

»Was ist los?« fragte Michael gespannt.

»Dieser Mann...«, murmelte Isi Maschiach, als spreche er über einen widerspenstigen Verwandten. »Sehen Sie, sehen Sie das? Hier ist piano vorgeschrieben! An einer merkwürdigen


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