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- 5 - aus: Batya Gur, Das Lied der Könige


zeigen. Und der größte Experte für Stürme und diese Dinge - was die Italiener Temporale nannten

- war Vivaldi. Jeder, der sein >La tempesta di mare< gehört hat, kann sehen, daß dieses >Dies irae< hier von ihm stammt.«

»Sie wissen, wie es sich anhört, allein wenn Sie die Noten sehen? Müssen Sie es nicht zuerst spielen, um das zu wissen?« zweifelte Balilati.

Isi Maschiach sah ihn erstaunt an. Sekunden vergingen, bis er die Frage verstand. »Ich lese Noten«, sagte er und hielt energisch sein weiches Kinn. »Ich begreife es nicht«, murmelte er. »Das werde ich ihm nie verzeihen«, gelobte er und brach in Tränen aus.

Balilati blähte seine Lippen und pustete laut und müde in die Welt. Er sah Michael anklagend an und blickte zur Decke, als frage er: Was machen wir jetzt?

»Wenn Sie mit der Situation nicht zurechtkommen«, sagte Michael in einem väterlichen Ton, »können wir einen Spezialisten kommen lassen. Wir haben Sachverständige, und es ist kein Problem, die Noten untersuchen zu lassen...«

»Nicht nötig.« Isi Maschiach faßte sich. Er zog die Nase hoch, wischte sich über die Augen und hörte auf zu weinen. »Ich halte es aus. Ich kann es überprüfen und es Ihnen bestätigen.«

»Sind Sie sicher?« fragte Michael und ignorierte den warnenden Blick Balilatis, der zu sagen schien: Pokere nicht zu hoch. »Denn es ist auch kein Problem, es von einem Sachverständigen der Universität und von einem unserer Labors untersuchen zu lassen.«

»Es gibt keinen zweiten in Israel, der sich so gut im Barock auskennt wie ich«, sagte Isi Maschiach, und das Pfeifen in seinen Atemzügen war wieder zu hören. »Nachdem Gabi nicht mehr lebt, gibt es keinen zweiten, ich habe es verdient... Niemand wird diese Noten vor mir zu sehen bekommen... Ich bin mir sicher... Sie werden doch damit nicht einfach hinausgehen wollen«, rief er entsetzt, »noch dazu bei Regenwetter!«

Sie warteten ein paar Minuten. Isi Maschiach lehnte sich zurück und benutzte erneut sein Inhaliergerät. Dann blätterte er weiter behutsam in den Heften. Seine Lippen bewegten sich hin und wieder wie die Lippen eines Betenden. Er sah sich das letzte Heft an.

»Es ist ein Requiem. Und da die ersten Seiten fehlen, fehlt der ganze Teil des >Kyrie<. Anscheinend ist das erste Heft verlorengegangen. Das zweite ist vorhanden, das dritte ist vorhanden, und es ist noch ein Teil vom vierten da. Das letzte fehlt. Insgesamt sind drei Teile erhalten, der zweite, der dritte und ein Teil des vierten, der mit einem Offertorium beginnt und in der Mitte abreißt. Sehen Sie?« Er blätterte achtsam. »Jedes Heft enthält acht vollständige Bögen, das heißt sechzehn Seiten. Und hier haben wir zweiunddreißig Seiten von zwei Heften und vier mit dem Offertorium. Es fehlt das Eröffnungsblatt und die Signatur. Aber es gibt Anzeichen, daß es von Vivaldi sein könnte, ein Stück von Vivaldi ohne Kopf und ohne Beine«, sagte er schließlich. »Es trägt seine Handschrift und hat auch seine Schärfe. Sein >Dies irae<, sehen Sie«, er zeigte auf das erste


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