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- 4 - aus: Batya Gur, Das Lied der Könige


Michael half ihm auf und zog ihn ans Fenster. Er öffnete das Fenster. Die Regentropfen näßten ihre Gesichter.

»Ich brauche meine Medizin«, sagte Isi Maschiach. Auf seiner Stirn sammelten sich Schweißtropfen.

»Was für eine Medizin?« rief Balilati in einer Art Bellen.

»Ein Inhaliergerät. Ich habe Asthma.«

»Haben Sie es hier?« fragte Michael.

»In der Tasche«, sagte Isi Maschiach mit erstickter Stimme, »in meiner Jackentasche.«

»Und wo ist Ihre Jacke?« fragte Balilati.

»Draußen glaube ich.«     

Balilati öffnete die Tür. »Draußen hängt keine Jacke«, verkündete er vom Flur. »Wo kann sie sein?«

»Vielleicht in dem Büro«, stieß Isi Maschiach aus. Sein Kinn bebte. »Im Büro von Sisovic.«

»Welcher Sisovic?« fragte Balilati panisch.

»Der Verwaltungsdirektor«, erklärte Michael, und Balilati stürzte wie ein Wirbelwind in Richtung des Büros des Managers und kehrte von dort mit einer hellen Jacke zurück. Ohne Hemmungen steckte er die Hand in die Seitentasche und in die Innentasche und zog eine kleine Pappschachtel heraus. »Ist es das?« fragte er Isi Maschiach und holte ein kleines Inhaliergerät hervor.

Isi Maschiach sprühte und atmete. Michael fielen Ruth Maschiachs Warnungen über sein Asthma ein. Und der Gedanke an Ruth Maschiach brachte ein kleines Gesicht mit sich und das Trampeln von Beinchen, das er hätte hören können. Und einen schmerzvollen Stich. Nichts, hämmerte die Stimme von innen. Gar nichts. Es ist vorbei. Es war einmal, und nun ist es vorbei. Sogar die Mutter haben sie gefunden. Es hat nicht einmal mehr Sinn, darüber nachzudenken. Er vertiefte sich in die Blätter.

Ganz langsam ging Isi Maschiach dazu über, regelmäßig zu atmen. Er sah sie nicht an, als er das Inhaliergerät in die Pappschachtel steckte. Er vermied den Blickkontakt, als er sich wieder auf den Stuhl setzte, sich den Partituren näherte, seine Lippen zusammenbiß und weiterblätterte. Seine Atemzüge pfiffen, wenn er Luft holte. »Der Introitus fehlt, das hier ist das >Dies irae<«, sagte er nüchtern, »und wenn das echt ist, ist das ein >Dies irae< von Vivaldi.«

»Was ist das, ein >Dies irae

»Das... Das ist der Tag des Zorns. Das ist die Übersetzung. Das >Dies irae< ist ein fester Bestandteil des Requiems«, sagte Isi Maschiach mit zittriger verträumter Stimme. »Und es ist immer der stürmischste Teil. Man kann es auch in den Requiemvertonungen von Mozart oder Verdi hören. Aber im Barock hat man es besonders stürmisch gemocht. Man liebte es, seine Gefühle zu


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