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- 5 - aus: Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin


Erika wundert sich: wieso kommen Sie denn immer schon so früh, Herr Klemmer? Wenn man, wie Sie, Schönbergs 33b studiert, kann man doch unmöglich am Liederbuch Frohes Singen, frohes Klingen Gefallen finden. Warum hören Sie also zu? Der emsige Klemmer lügt, daß man überall und immer von etwas profitieren kann, und sei es auch nur wenig. Aus allem läßt sich eine Lehre ziehen, sagt dieser Schwindler, der nichts Besseres vorhat. Er gibt an, daß selbst vom Kleinsten und Geringsten seiner Brüder noch unter den Umständen der Wißbegier etwas haftenbleiben kann. Nur muß man es bald überwinden, um weiterzukommen. Beim Kleinsten und Geringsten darf der Schüler nicht verharren, sonst greifen seine Vorgesetzten ein.

Außerdem hört der junge Mann seiner Lehrerin gerne zu, wenn sie etwas vorspielt, und sei es nur mit Singsang und Klingklang fallera oder die H-Dur-Tonleiter. Erika sagt, machen Sie Ihrer alten Klavierlehrerin keine Komplimente, Herr Klemmer, welcher antwortet, von alt kann keine Rede sein und auch Kompliment stimmt nicht, denn es ist meine vollste und ehrlichste innerste Überzeugung! Manchmal erbittet sich dieser hübsche Bursch die Gunst, etwas zusätzlich zu seinem Pensum dazuüben zu dürfen, weil er übereifrig ist. Er sieht seine Lehrerin erwartungsvoll an und wartet auf Winke. Er lauert auf einen Fingerzeig. Die Lehrerin, die auf ihrem hohen Roß sitzt, dämpft den jungen Mann ab, indem sie in bezug auf den Schönberg spitz sagt: so gut können Sie ihn wieder auch noch nicht. Wie gern überläßt der Schüler sich einer solchen Lehrkraft, selbst wenn sie auf ihn herabblickt, wobei sie die Zügel fest in der Hand behält.

......

(S. 61-66)

Das ganz private Kammerkonzert findet unter freiwilligen Interessenten in einer alten Patrizierwohnung am Donaukanal statt, zweiter Gemeindebezirk, wo eine polnische Emigrantenfamilie der vierten Generation ihre zwei Flügel und dazu die reichhaltige Partiturensammlung aufgeschlagen hat. Außerdem besitzen sie dort, wo ein anderer sein Auto hat, nämlich ihrem Herzen sehr nahestehend, eine Sammlung alter Instrumente. Sie haben kein Fahrzeug, aber sie haben ein paar schöne Mozartgeigen und -bratschen und eine ganz auserlesene Viola d'Amore, welche an der Wand hängt, von einem Familienmitglied ständig bewacht, wenn die Kammermusik in der Wohnung ausbricht, und nur zu Studienzwecken heruntergenommen wird. Oder anläßlich einer Feuersbrunst.

Diese Menschen lieben Musik und wollen, daß auch andere dazu gebracht werden. Mit Geduld und Liebe, wenn nötig mit Gewalt. Sie wollen bereits halbwüchsigen Kindern die Musik zugänglich machen, denn alleine diese Gefilde abzuweiden, bereitet nicht so viel Freude. Wie Alkoholiker oder Drogensüchtige müssen sie ihre Liebhaberei unbedingt mit möglichst vielen teilen. Kinder werden ihnen raffiniert zugetrieben.


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