- 89 -epOs Verlag Osnabrück - epOs-Music - Humor in der Musik - Musik in der Literatur 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (88)Nächste Seite (90) Letzte Seite (109)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

- 6 - aus: Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin


Das allseits bekannte fette Großelternkind, dessen Haar feucht am Kopf klebt und das bei geringfügigsten Anlässen um Hilfe schreit, ebenso wie das Schlüsselkind, das sich heftig wehrt, aber schließlich doch ergeben muß. Kein Imbiß wird bei den Konzerten herumgereicht. Und die weihevolle Stille läßt sich auch nicht anbeißen. Keine Brotbrösel, keine Fettflecken auf den Polstermöbeln, keine Rotweinflecken auf der Klavierschondecke eins und der Klavierschondecke zwei. Absolut kein Kaugummi! Die Kinder werden gesiebt, ob sie Unrat von draußen mitbringen. Die gröberen Kinder bleiben oben im Sieb liegen und werden auf ihrem Instrument nie etwas erreichen. Diese Familie macht sich keine unnötigen Ausgaben, nur die Musik allein soll durch sich und von sich aus Wirkung nehmen. Sie soll sich ihren Trampelpfad in die Herzen bahnen. Für sich selbst geben sie ja auch kaum etwas aus.

Erika hat ihre Klavierschüler geschlossen hinzitiert. Ein Wink mit dem kleinen Finger der Frau Professor hat schon ausgereicht. Die Kleinen bringen eine stolze Mutter, einen stolzen Vater oder beide gemeinsam und füllen als intakte Familien die Räumlichkeiten. Sie wissen, sie bekämen im Klavierzeugnis eine schlechte Note, schlössen sie sich hier aus. Nur der Tod wäre ein Grund, sich der Kunst zu enthalten. Andere Gründe werden absolut nicht begriffen vom professionellen Kunstfreund. Erika Kohut brilliert.

Zur Eröffnung das zweite Bachkonzert für zwei Klaviere. Das zweite Klavier wird von einem Greis bespielt, der in seinem früheren Leben einmal im Brahmssaal aufgetreten ist und dabei ein einziges Klavier ganz für sich allein gehabt hat. Diese Zeiten sind vorbei, doch die ältesten Leute können sich noch daran erinnern. Der nahende Sensenmann scheint diesen Herrn, der sich Dr. Haberkorn nennt, keineswegs zu größeren Leistungen anspornen zu können, wie er es noch bei Mozart und Beethoven vermochte, auch bei Schubert. Und dieser hatte nun wirklich nicht viel Zeit. Der Greis begrüßt seine Partnerin am zweiten Flügel, Frau Prof. Erika Kohut, mit einem galanten Handkuß in Landessitte, trotz Alter, bevor wir gemeinsam beginnen.

Liebe Musikfreunde und Gäste. Die Gäste stürzen sich auf die Tafel und schmatzen am barocken Ragout. Schüler scharren schon zu Beginn, Böses wollend, doch zur Ausführung fehlt der Mut. Sie brechen nicht aus diesem Hühnerstall der künstlerischen Weihe aus, obwohl dessen Latten reichlich dünn sind.

Erika  trägt  einen   schlichten   bodenlangen   Kaminrock  aus schwarzem Samt und eine Seidenbluse. Dazu mißt sie einen und den anderen Schüler mit einem Blick, der Glas schneiden könnte, wozu sie ganz leicht den Kopf schüttelt.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (88)Nächste Seite (90) Letzte Seite (109)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 89 -epOs Verlag Osnabrück - epOs-Music - Humor in der Musik - Musik in der Literatur