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- 4 - aus: Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin


abgeschmeckt. Nur selten ist eine rote Rose darunter. Manchen entreißt Erika schon im ersten Lehrjahr mit Erfolg die eine oder andere Clementi-Sonatine, während andere noch grunzend in den Czerny-Anfängeretüden herumwühlen und bei der Zwischenprüfung abgekoppelt werden, weil sie absolut kein Blatt und kein Korn finden wollen, während ihre Eltern fest glauben, bald werden ihre Kinder Pastete essen.

Erikas gemischte Freude sind die tüchtigen Fortgeschrittenen, die sich Muühe geben. Ihnen entringen sich Schubert-Sonaten, Schumanns Kreisleriana, Beethoven-Sonaten, jene Höhepunkte im Klavierschülerleben. Das Arbeitsgerät, der Bösendorfer, sondert intrikates Mischgewebe ab, und daneben steht der Lehrer-Bösendorfer, den nur Erika bespielen darf, es sei denn, man übt etwas für zwei Klaviere ein.

Nach jeweils drei Jahren muß der Klavierschüler in die nächsthöhere Stufe eintreten, zu diesem Zweck besteht er eine Übertrittsprüfung. Die meiste Arbeit mit dieser Prüfung hat Erika, die den trägen Schülermotor durch heftigeres Gasgeben auf höhere Touren schrauben muß. Manchmal springt der so Bearbeitete nicht richtig an, weil er lieber etwas ganz anderes täte, das mit Musik nur insofern zu tun hat, als er Worte wie Musik in das Ohr eines Mädchens träufelt. So etwas sieht Erika nicht gern und unterbindet sie, wenn sie kann. Oft predigt Erika vor der Prüfung, daß ein Danebengreifen weniger schädlich sei, als das Ganze im falschen Geist wiederzugeben, der dem Werk nicht gerecht wird; sie predigt tauben Ohren, die sich vor Angst verschließen. Denn für viele ihrer Schüler ist Musik der Aufstieg aus den Tiefen der Arbeiterschaft in die Höhen künstlerischer Sauberkeit. Sie werden später ebenfalls Klavierlehrer und Klavierlehrerinnen. Sie  fürchten,  daß bei  der  Prüfung  ihre angstgedopten,  schweißnassen  Finger,  vom  rascheren  Pulsschlag angetrieben, auf das falsche Tastenbrett rutschen.  Da kann Erika von Interpretation reden, soviel sie will, sie wollen es nur bis zum Ende richtig durchspielen können. Erikas Gedanken wenden sich erfreut Herrn Walter Klemmer zu, einem hübschen blonden Burschen, der neuerdings als erster in der Früh kommt  und abends als letzter geht.  Er ist ein fleißiges Lieschen, muß Erika zugeben. Er ist Student an der Technik, wo er den Strom und seine wohltätigen Eigenschaften studiert. Er wartet in letzter Zeit sämtliche Schüler ab, und zwar vom ersten zögernden Fingerübungspicken bis zum letzten Kracks von Chopins Phantasie f-Moll, op. 49. Er sieht aus, als habe er sehr viel überflüssige Zeit, was bei einem Studenten in der Endphase seines Studiums unwahrscheinlich ist. Erika fragt ihn eines Tages, ob er nicht lieber den Schönberg ausüben wolle, anstatt hier unproduktiv herumzusitzen. Ob er nichts fürs Studium zu lernen habe? Keine Vorlesungen, Übungen, nichts? Sie erfährt von Semesterferien, an die sie nicht gedacht hat, obwohl, sie viele Studenten unterrichtet. Die Klavierferien decken sich nicht mit den Universitätsferien, strenggenommen gibt es von der Kunst niemals Urlaub, sie verfolgt einen überall hin, und dem Künstler ist das nur recht.


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