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aus: Dieter Hildebrandt, Piano, piano! Der Roman des Klaviers im 20. Jahrhundert

       // mit freundlicher Genehmigung des Verlags Carl Hanser München - Wien


Bleibendes Bild: Da wird eine stumme Frau mit ihrer kleinen Tochter an einem einsamen Strand ausgesetzt, mitsamt ihrem Gepäck. Das besteht aus Koffern und mehreren großen Kisten. Ihrer Mitgift für eine Ehe, die sie, die junge Witwe, im wildfremden Neuseeland mit einem fremden Mann eingehen will. Hier, am Strand, soll das neue Leben beginnen, das blind date die Augen öffnen, hier soll der künftige Mann sie mit seinen Trägern abholen zum Existenzabenteuer im Urwald. Als er dann da ist, fragt er ruppig nach dem Inhalt der Kisten und nickt deren Nützlichkeit ab: Geschirr. Ja. Kleider. Ja. Und in der großen dort? Ein Bett? »Das ist das Piano meiner Mutter«. sagt das Kind. Der Mann kann es nicht fassen. Die Wege zum Haus in der Wildnis sind keine, Pfade, verschlammt, von Schlingpflanzen umklammert, jeder Schritt muß erkämpft werden - kein Gedanke daran, ein Klavier zu transportieren. Die Frau besteht mit heftigen Gebärden darauf, das Piano mitzunehmen; sie hat keine Chance. Als die Menschen, darunter die eingeborenen Träger und der kommende Rivale des Ehemanns, die Szene verlassen haben, bleibt das halb noch in Brettern eingeschalte Instrument zurück auf dem weiten leeren Sand. Relikt der Zivilisation, gestrandete Musik.

Die Filmszene rahmt das Klavier mit Absurdität. Dieses hier kommt aus England und aus dem 19. Jahrhundert, und es wird ausgesetzt am anderen Ende der Welt, wo es nichts bedeutet. Aber in Wahrheit stellt das Film-Piano die Situation des Instruments überhaupt dar: Findling aus einer anderen Zeit, übriggeblieben in einem nun auch schon vergangenen Jahrhundert, in dem es wie ein erratischer Block wirkt. Das mit Brettern vernagelte Piano in seiner grandiosen Kulturverlassenheit wird zum Monument des Klaviers im 20. Jahrhundert. Kann es je in die Zukunft transportiert werden? Hat es, nach dreihundert Jahren Spielbetrieb, noch eine Chance?


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