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- 10 - Arthur Rubinstein: Erinnerungen - Die frühen Jahre


»Sie scheinen ganz zu vergessen, André, daß Hoehn ein ausgezeichneter Pianist ist und keinerlei Protektion braucht. Er hat den Preis verdient.«

Er wollte aber nicht hören; Parteigänger sind Argumenten nicht zugänglich.

»Hören Sie auf, André!« sagte ich unwirsch. »Ihre Abneigung macht Sie ungerecht. Ich bin jetzt müde.«

Er gab nach und geleitete mich zu meinem Quartier, wo Stefan Grostern mich bereits erwartete.

»Raten Sie mal, wer hier war?« und ohne meine Antwort abzuwarten: »Die Polizei. Ein Gendarm hat Ihren Paß gebracht und ohne eine Miene zu verziehen gesagt: >Juden ohne Ausnahmegenehmigung müssen St. Petersburg innerhalb von vierundzwanzig Stunden verlassen.< Als er ging, habe ich mich vor Lachen ausgeschüttet.« Ich stimmte in dieses Gelächter ein. Daß dieser dramatische Tag mit einer solchen Groteske endete, setzte das Tüpfelchen auf das i.

»Ich fahre morgen abend nach Warschau, dann sind Sie Ihren lästigen Zimmergenossen endlich los, lieber Stefan«, sagte ich. Er wehrte das selbstverständlich ab, sah aber doch sehr erleichtert aus.

Früh am nächsten Vormittag kam André in das Zimmer gestürmt. »Arthur!« rief er, »du hast trotz allem den Wettbewerb gewonnen! Heute abend reist du nach Charkow.« Er lachte über mein erstauntes Gesicht und erzählte mir dann folgendes: »Gestern abend hat Sergej Koussewizky aus Charkow angerufen, weil er von mir den Ausgang des Wettbewerbs erfahren wollte. Er hat sich sehr geärgert, daß du so ungerecht behandelt wurdest, und hat im Handumdrehen beschlossen, dir eine Art Genugtuung zu verschaffen. Er möchte mit dir über eine Konzertreise durch Rußland abschließen und dich als Solisten für seine Symphoniekonzerte in Moskau und St. Petersburg verpflichten. Sozusagen als Ausgleich für den entgangenen Preis bietet er dir einen Vorschuß von 2000 Rubel auf deine Konzerteinnahmen.«

Mir war, als träumte ich.

»Und das ist noch nicht alles«, fuhr er fort. »Koussewizky lädt dich ein nach Djergatschi, er besitzt nämlich bei Charkow ein Landhaus. Er möchte die Einzelheiten mit dir selber festlegen.«

Ich sagte, die Polizei habe mich bereits ausgewiesen, aber er spöttelte nur: »Die Lumpenhunde haben ganz plötzlich doch an dich gedacht? Da mußt Du sofort nach Charkow reisen. Ich telegrafiere deine Ankunftszeit an Koussewizky, der schickt dir einen Wagen an den Bahnhof. « Ich umarmte ihn, umarmte auch Stefan - ich hätte am liebsten die ganze Welt umarmt.


Aus: Arthur Rubinstein, Erinnerungen - Die frühen Jahre, S. 398-412

© Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M. 1976





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