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- 7 - Arthur Rubinstein: Erinnerungen - Die frühen Jahre


dem Pianistenwettbewerb ihre Kompositionen zu Gehör. Zwei Tage durften wir auf dem Instrument unserer Wahl probieren. Wir hörten einander mit größtem Interesse und ohne eine Spur von Neid zu. Alle Mitbewerber waren gute Pianisten, und viele standen vor einer schönen Laufbahn. Zwei Russen, Pyschnow und Borowski, waren Schüler von Madame Essipowa und hofften auf den ersten Platz. Ich entdeckte weitere musikalische Gemeinsamkeiten mit Alfred Hoehn, der sich als gelehrter und bescheidener junger Mann erwies. Emil Frey aus der Schweiz bewarb sich sowohl um den Preis für Komposition als um den Preis für Klavier, und das machte uns tiefen Eindruck.

Am dritten Tag war Edwin Fischer wiederum der erste, diesmal in einem vollbesetzten Saal. Publikum, Presse, ja, ganz Rußland nahmen teil. In dieser Phase des Wettbewerbes hatte jeder von uns schon seine Parteigänger, und, offen gesagt, ich hatte die meisten. Wäre ich ein Rennpferd gewesen, die Wetten hätten 10:1 für mich gestanden.

Nach Fischer hörte ich Sirota, Pyschnow und einen Engländer. Sie spielten entmutigend gut. Alle vier besaßen jene präzise Technik, die ich nie erreicht habe, und ließen keine einzige Note aus, diese Teufel. »Hör denen lieber nicht zu«, sagte ich mir, »sonst läufst du vom Wettbewerb weg, Polizei hin oder her.« Tatsächlich leide ich, wenn es um mein Spiel geht, an einem Minderwertigkeitskomplex. Selbst ein Grünschnabel, wenn er nur eine Sonate von Scarlatti anständig hinkriegt, erscheint mir besser als ich selber. Der Leser muß allerdings wissen, daß ich als Musiker im eigentlichen Sinne keine derartigen Komplexe habe.

Tags darauf hieß es am Nachmittag plötzlich: »Nummer Zwölf!«, und ich hatte das Gefühl, als schritte ich zum Schafott. Der Saal war wiederum brechend voll. Nachdem man bereits elf Pianisten angehört hatte, war die Spannung auf den Siedepunkt gestiegen, sogar die Jury schien nervös, und was in mir vorging, hätte nur ein sehr guter Analytiker entwirren können. Merkwürdigerweise ist gerade solche fieberhafte Aufgeregtheit einer guten Leistung förderlich.

Mein erstes Stück, Präludium und Fuge von Bach, klang auf dem Bechstein sehr gut, es hatte Klarheit und Würde. Das Publikum applaudierte herzlich, und die Juroren nickten mir ermunternd zu. Die folgende Beethovensonate machte mir schweren Kummer, weil sie kurz ist und kein richtiges Ende hat. Der erste Satz ist großartig und ergreifend, doch im zweiten wird das schöne Thema zu oft wiederholt und stirbt am Ende weg. Professor Barth hatte mir versichert, gerade mit diesem Satz habe Anton Rubinstein seine Hörer zu Tränen gerührt, und eingedenk seiner Worte spielte ich die Sonate aus ganzer Seele und gab jeder Wiederholung des schönen melodischen Themas eine neue Bedeutung. Das Publikum, anfangs etwas stutzig, beklatschte meine Leistung frenetisch, wie es sich für Parteigänger geziemt; der Beifall war weniger für mich bestimmt als gegen die anderen gerichtet. Ich glaubte, ich könnte den Sieg erstreiten.

Die »Papillons« von Schumann waren wirklich ein Erfolg und die Chopinstücke ein Triumph. Bei der Mazurka wischte Madame Essipowa sich die Tränen weg. Die Liszt-Etüde donnerte ich mit einer Menge falscher Noten, aber mit unwiderstehlichem Schwung hin.

Was zwei Tage zuvor wie Beifall geklungen hatte, nahm sich wie Kinderspiel aus im Vergleich zu dem von meinem Vortrag entfesselten Orkan. Russen können das begeistertste Publikum der Welt sein, und sie bewiesen es an jenem Tage. Man stürzte sich mit Geschrei auf mich, und ich


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