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- 8 - Arthur Rubinstein: Erinnerungen - Die frühen Jahre


entkam mit knapper Not ins Künstlerzimmer. Die Juroren folgten mir mit Mühe; manche schoben sich ziemlich zerdrückt herein. Glasunow sagte einiges Gerührte, und Madame Essipowa dankte mir für mein Chopinspiel, »das ich nie vergessen werde«, wie sie sagte.

Die Juroren gingen wieder hinaus, um sich erneut ihrer Pflicht zu widmen. Ein Franzose spielte gut, aber niemand fühlte sich davon angesprochen.

Die Morgenzeitungen berichteten ausführlich über mich, und alle, ohne Ausnahme, nannten mich den »Sieger«. Eine liberale, meist von Juden gelesene Tageszeitung ging zu weit - die Schlagzeile lautete:

»Golos naroda, golos bojyi (Volkes Stimmes ist Gottes Stimme). Nur ein Rubinstein kann den Rubinstein gewinnen.« Die Warschauer Presse übernahm diese Übertreibung, und Pola, Moszkowskis und Paul gratulierten mir telegrafisch.

Den letzten Tag des Wettbewerbs hörte ich mir die übrigen fünf oder sechs Pianisten an, darunter Borowski, Hoehn, Isserlis (ein Russe) und Emil Frey. Borowski war ein guter Pianist und ein rechtschaffener Musiker, doch fehlte es ihm an Persönlichkeit; was er auch spielte, klang eingelernt und blaß. Seine vielen Freunde vom Konservatorium applaudierten ihm allerdings eifrig.

Hoehns Vortrag wurde mit Spannung erwartet. Im Publikum tuschelte man über den Brief an die Zarin, und es hieß bereits, er sei ein natürlicher Sohn des Großherzogs von Hessen. In Wahrheit war Hoehn ein ernster, anspruchsloser junger Mensch. Er hatte eine langsame, lange Fuge von Bach gewählt, die viel Nuancierung und eine Verschiedenheit im Ton verlangt, über die er nicht verfügte, und so klang sie denn auch trotz präziser Wiedergabe eintönig. Als zweites hatte er sich die größte aller Beethovensonaten gewählt, die »Hammerklaviersonate« opus 106. Dieses Werk spielte er hervorragend, wie ein reifer Meister. Er hatte die Musik in sich, und er trug so spontan vor, als komponierte er die Sonate beim Spiel. Die edle Auffassung des ersten Satzes rührte mich zutiefst an, ebenfalls das schlicht und schön gespielte Adagio. Die abschließende Fuge war glänzend, kurzum, die ganze Sonate war meisterlich gespielt. Hoehn erhielt dafür den verdienten Beifall. Sein restliches Programm bot wenig Interessantes; für Schumann war er nicht Romantiker genug, und auch für Chopin fehlte ihm das richtige Verständnis. Virtuosenstücke wie eine Liszt-Etüde waren entschieden seine Sache nicht.

Nach einem Pianisten vom Kaliber Hoehns klang Isserlis dürftig, während Frey wiederum wundervoll spielte. Sein Trio hatte der Jury gut gefallen, und er galt als einziger Anwärter auf den Preis für Komposition; niemand hatte ihm so hervorragende pianistische Fähigkeiten zugetraut, wie er sie jetzt an den Tag legte. Seine »Hammerklaviersonate« war technisch sogar noch perfekter als von Hoehn gespielt, wenn auch nicht so ergreifend, und sein Programm war insgesamt ein reiner Ohrenschmaus. Ich hielt diesen Schweizer Musiker für meinen gefährlichsten Konkurrenten, das Publikum klatschte wie wild, und die Juroren wirkten ratlos.

Der Wettbewerb war vorüber. Niemand rührte sich vom Fleck. Alle glaubten, der Preis werde sogleich verliehen, Glasunow verschob das aber auf den nächsten Tag mittags zwei Uhr. Es war grausam, uns fast vierundzwanzig Stunden in quälender Ungewißheit zu lassen. Mein Freund André Diederichs gab in seiner Wohnung eine kleine Gesellschaft für mich; sie war als Siegesfeier gedacht, etwas voreilig, wie sich nun herausstellte; immerhin genoß ich im Kreise meiner treuen


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