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- 4 - Vladimir Nabokov: MUSIK


Die Mauer, welche die Musik errichtete, war immer noch gleich undurchdringlich; die irrealen Hände ereiferten sich nach wie vor in den Tiefen des Lacks. «Wir werden unser Leben lang glücklich sein» — wie das vibrierte, was für eine Spiegelung einer Seele in der anderen! Sie schien ganz aus Samt zu bestehen, diese junge Frau. Man war versucht, sie zu nehmen und ihre Gliedmaßen an den Körper zu biegen (wie langbeinige Fohlen es tun), sie ganz zu biegen — und dann? Was tun, um sie ganz zu besitzen? Man führte ein Leben ohne Aufregungen, weder reich noch arm. Das ganze Jahr über konnte man im Meer schwimmen. Das Gelee der auf den flachen Kieseln des Strandes liegengebliebenen Seequallen zitterte leicht im Wind. Die nassen Felsen leuchteten. Einmal begegnete man Fischern, die einen Ertrunkenen trugen: Seine nackten Zehen, die unter der Decke hervorsahen, in die man ihn geschlagen hatte, schienen höchstes Erstaunen auszudrücken. Abends machte sie Kakao.

Von neuem blickte er hinüber: Jetzt hielt sie die Stirn gesenkt, die Hand über den Augen (ja, sie war Musikerin). Wolff mußte also irgendein sehr berühmtes, sehr schönes Stück spielen. «Damit fertig zu werden, wird mich ein paar schlaflose Nächte kosten», sagte sich Viktor Iwanowitsch, indem er von weitem diesen weißen Hals, die weich übereinandergeschlagenen Beine (und dieses schwarze, leichte, unbekannte Kleid und den Glanz des Halsbandes...) betrachtete. «Nein, ich werde lange nicht schlafen können, und in diesem Haus darf ich auch nicht länger verkehren — und alle meine Arbeit wird umsonst gewesen sein: diese zwei Jahre der Anstrengungen, diese Wissenschaft des Vergessens, die ich mir fast zu eigen gemacht habe. Jetzt muß ich wieder von vorne anfangen, und nicht nur die Vergangenheit ist dabei zu berücksichtigen, sondern auch der heutige Abend, der ihr all ihre Macht zurückgegeben hat. »Plötzlich kam es ihm vor, als blicke sie zwischen den Fingern hindurch zu ihm herüber, und er wandte den Kopf.

Die Musik näherte sich dem Ende. Wenn jene stürmischen, atemlosen Akkorde erscheinen, bedeutet es immer, daß das Ende nahe ist. «Schluß», wieder so ein komisches Wort; spitz zu-geschliffen. Eine feine, tödliche Silbe. Es war Frühling, die Mandelbäume blühten wie ein Gebäusch rosigen Rauches im blauen Himmel. Eine seltsame Erschlaffung war damals über sie gekommen. Sie sprach, fast ohne die Lippen zu bewegen. «Was hast du?» fragte er. «Nichts, es ist nichts.» Zuweilen beobachtete sie ihn durch ihre Wimpern hindurch mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck. «Was hast du?» «Nichts, es ist nichts.» Gegen Abend erstarb sie vollends. Es war nichts mehr mit ihr zu machen, und so klein und schlank sie war, sie schien zu einer schweren Granitstatue zu werden, schlecht aufgestellt, jedoch unerschütterlich. «Was hast du nur? Sag mir doch.» So ging es mehrere Wochen lang. Eines Morgens dann, an seinem Geburtstag, sagte sie ganz einfach, als handele es sich um etwas Nebensächliches: «Wir wollen uns für einige Zeit trennen. So kann das nicht weitergehen.» In diesem Augenblick war die kleine Tochter der Nachbarsleute hereingelaufen gekommen, um ein Kätzchen zu zeigen — die anderen hatte man ersäuft. «Geh, geh... später.» Das Mädchen war hinausgegangen; ein langes Schweigen trat ein. «Geh, nimm deine Mieze mit, hindere uns nicht, zu schweigen.»

Dann hatte er begonnen, ihr langsam und ohne ein Wort den Arm zu verdrehen. Es überfiel ihn die Lust, sie zu zerbrechen, ihr alle Knochen mit einem langen Knacken zu zermalmen. Sie brach in Tränen aus.


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