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- 3 - Vladimir Nabokov: MUSIK


daran, wie er einige Augenblicke vorher diesen Salon mit langen, lautlosen Schritten auf Zehenspitzen durchquert hatte, vorn überwippend, bis zu diesem Sessel: Gewiß hatte sie ihn vor beigehen sehen — und das war, als wäre er unvorbereitet nackt wie ein Wurm oder bei irgendeiner lächerlichen Beschäftigung ertappt worden; und während er noch an diese Tauch-

Übungen dachte, an diesen wogenden Gang, mit dem er sich ahnungslos ihrem Blick preisgegeben hatte (was für einem Blick? kalt? ironisch? neugierig?), fragte er sich, ob die Dame des Hauses oder irgendeiner von den Gästen Bescheid wußte... und eine Vielzahl von Fragen bedrängte ihn: Wie kam es, daß sie hier war? War sie allein gekommen oder mit einem neuen Ehemann? Und er selber, was sollte er jetzt tun: sitzen bleiben wie bisher oder sie ansehen? Aber noch konnte er sie nicht ansehen; er hatte sich zunächst mit dem Gedanken abzufinden, daß sie sich in diesem zugleich so weiten und so engen Salon befand; denn es war, als hätte die Musik sie beide mit Wänden umgeben und wäre zu einem Gefängnis geworden, in dem sie mit Gewalt gefangengehalten wurden, bis das Klavier aufhörte, die Eisgewölbe mächtiger Harmonien zu errichten und aufrechtzuerhalten.

Was war ihm aufgefallen, eben, in der Zeit, als er sie gesehen hatte? So wenig: ihre dunklen Lider, ihre blasse Wange, die Krümmung einer schwarzen Locke und, an Einzelheiten, ein

 Halsband oder etwas Ähnliches. So wenig! Aber bereits diese oberflächliche Skizze, dieses unvollendete Bild war seine Frau, und auf der ganzen Erde durfte einzig diese Mischung aus Hell und Dunkel ihren Namen tragen.

Wie war das alles lange her! An einem feuchten, drückenden Abend hatte er sich auf der Terrasse eines Tennisklubs besin nungslos in sie verliebt, und einen Monat später, während der Hochzeitsnacht, übertönte der strömende Regen das Geräusch der See. Wie glücklich wir sind! «Glücklich» — ein hohles und feuchtes Wort... «Glück» — ein kleines, lebendiges, zahmes Wort, das alleine tanzt und weint. Am Morgen funkelten die Blätter des Gartens, und man konnte mit Mühe das Murmeln des trägen, milchigen, unbestimmt silbrigen Meeres unterscheiden.

Jetzt handelte es sich darum, diesen Zigarettenstummel irgendwohin zu tun. Er wandte den Kopf, und wieder setzte sein Herz für einen Schlag aus. Einer der Gäste, der die Haltung wechselte, um ein Taschentuch herauszuziehen, das so weiß war wie der Tod, versperrte ihm die Sicht auf jene, die gleichwohl immer noch da war: Die Schulter, welche sie jetzt verdeckte, würde zurückfallen, und wieder käme sie zum Vorschein. Nein, es war unmöglich, hinzublicken. Der Aschenbecher? Auf dem Flügel.


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