- 9 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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den "Meditationen" in der negativen Dialektik, in der Adorno die Negativität reiner metaphysischer Erfahrung zu begreifen sucht, indem er auf ihre "Aktualisierung" im "vergeblichen Warten" verweist. "Kunst hat das aufgezeichnet; Alban Berg stellte im Wozzeck am höchsten jene Takte, welche, wie nur Musik es kann, vergebliches Warten ausdrücken und hat ihre Harmonie an den entscheidenden Zäsuren und am Schluß der Lulu zitiert. ... Vergebliches Warten verbürgt nicht, worauf die Erwartung geht, sondern reflektiert den Zustand, der sein Maß hat an der Versagung. Je weniger am Leben mehr bleibt, desto verlockender fürs Bewußtsein, die kargen und jähen Reste des Lebendigen fürs erscheinende Absolute zu nehmen. Gleichwohl könnte nichts als wahrhaft Lebendiges erfahren werden, was nicht auch ein dem Leben Transzendentes verhieße; darüber führt keine Anstrengung des Begriffs hinaus. Es ist und ist nicht." 15)


In der Rezeption wird die in der Chiffre der Musik bewahrte metaphysische Erfahrung erneut "aktualisiert" und dadurch an das Subjekt vermittelt, und zwar ästhetisch. Demnach wäre die ästhetische Erfahrung zugleich eine metaphysische, deren Negativität sich in ihr wiederholt. Gleichwohl besteht (in der Reflexion) eine winzige Differenz: die im Werk aufgezeichnete Erfahrung ist auch dessen "Gehalt", 16) sie ist Teil des zu Erfahrenden, der sich dem rezipierenden Subjekt mitteilt als "vergebliches Warten". Die Bestimmung, das es sich um "vergebliches" Warten handele, bezeichnet noch nicht den vollen Gehalt der Erfahrung; er rückt näher durch eine zusätzliche, "reflektierte" Bestimmung: dieses Warten drückt einen "Zustand" aus, der das Erwartete nicht "verbürgt", sondern der durch "Versagung" gekennzeichnet ist. Erst durch diese genauere Bestimmung der Vergeblichkeit des Wartens tritt das zu Erfahrende ganz, in seinem vollen Gehalt, in den Blick: das, "worauf die Erwartung geht", das, worauf die "Bahn" der Erfahrung gerichtet ist, das, wodurch der Zustand des Wartens und alle Versagung aufgehoben würde. Das Ziel selbst jedoch, der Fluchtpunkt, auf den hin die antinomische Erfahrung sich überschreitet, ist nicht mehr bestimmbar. Hier erreicht die metaphysische wie die ästhetische Erfahrung ihre äußerste Grenze: augenblickshaft 17) blitzt am Fluchtpunkt der Erfahrung das "verheißene", aber unerkennbare Transzendente auf - "Schein des Scheinlosen", 18) aufgehendes und sich entziehendes Licht ineins. Ob es "an sich selber" 19) ist, teilt sich der Erfahrung nicht mit.


Diese Grenze der Erfahrung mag auch die philosophische Reflexion nicht zu überschreiten: "darüber führt keine Anstrengung des Begriffs hinaus". Die aus dem Bedürfnis der "Lebensnot" 20) entspringende unabweisbare Frage nach dem Absoluten mündet ein in dieses Paradox: "Es ist und ist nicht." 21) In der Unmöglichkeit einer positiven Aussage über das Absolute hält das Denken Adornos die Möglichkeit, daß es sein kann, fest - wie das Kunstwerk, wie authentische Musik. Es "vertritt in der innersten Zelle des Gedankens, was nicht seinesgleichen ist". 22)


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Die ästhetische Erfahrung wird bei Adorno in verschiedenen Zusammenhängen zum Thema, aber nicht zu einer geschlossenen' Theorie zusammengefaßt; dies entspricht seiner schon früh bekundeten Intention, in "Konstellationen" zu denken. 23) Wenn im


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