- 30 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Die Neigung, den ingeniösen Einfall eher durch rhetorische Überzeugungskraft als durch Kleinarbeit des analytischen Nachweises plausibel zu machen, ist bei Adorno jedoch nicht oder jedenfalls nicht nur eine eitle Marotte. Sie beruht auch auf seinem tiefgreifenden Zweifel an der erkenntnisvermittelnden Kraft eines Denkens, das sich der starren Logik der ableitenden Argumentation verschrieben hat. Es ist der Zweifel des an Hegels Dialektik geschulten Philosophen, der in der formalen Lückenlosigkeit der schlußfolgernden Beweisführung die Gefahr sieht, daß sich das Denken gegenüber den nicht logifizierbaren Momenten einer Sache verselbständigt und sich zugleich gegen die Erfahrung mit dem Erkenntnisgegenstand abschottet: "Es käme darauf an, Erkenntnisse zu haben, die nicht etwa absolut richtig, hieb- und stichfest sind - solche laufen unweigerlich auf die Tautologie hinaus -, sondern solche, denen gegenüber die Frage nach der Richtigkeit sich selber richtet. - Damit wird aber nicht Irrationalismus angestrebt, das Aufstellen willkürlicher, durch den Offenbarungsglauben der Intuition gerechtfertigter Thesen, sondern die Abschaffung des Unterschieds von These und Argument. Dialektisch denken heißt, unter diesem Aspekt, daß das Argument die Drastik der These gewinnen soll und die These die Fülle ihres Grundes in sich enthalten. Alle Brückenbegriffe, alle Verbindungen und logischen Hilfsoperationen, die nicht in der Sache selber sind, alle sekundären und nicht mit der Erfahrung des Gegenstandes gesättigten Folgerungen müßten entfallen. In einem philosophischen Text sollten alle Sätze gleich nahe zum Mittelpunkt stehen." 31)


Diese Maxime kommt dem ingeniösen Denken zweifellos zugute. Sie ist es aber auch, die Adorno, wie etwa im Wagnerbuch der Fall, zu früh davon entbindet, durch nachweisende Argumentation am Detail die Erkenntniskraft und den Erkenntniswert eines Einfalls auszuloten. Dies gilt, wie gezeigt, für das Verhältnis von Deutung und Werkanalyse. Dies gilt aber auch - und dies bedürfte einer eigenen Erörterung - für den Nachweis des behaupteten Vermittlungszusammenhanges von geschichtlich-gesellschaftlichen Momenten und werkimmanentem Gehalt sowie für die unvermittelte Gleichsetzung von Individual- und Sozialcharakter der Person Wagners zu Beginn des Wagnerbuches. 32)


Das Urteil aber, daß Adornos Wagnerkritik ein Dokument eines allzu hitzigen Streites über Wagner sei, der "zu verworren ist, als daß er zu schlichten wäre, der also nur abgebrochen und vergessen werden kann", 33) - ein solches Urteil unterschätzt ein wesentliches Moment an Adornos musikalischem Denken: Was ihm an analytischer Zuverlässigkeit abgehen mag, gewinnt er im schriftstellerischen Zugriff. Und sobald man die literarischen Momente des Adornotextes ernst nimmt, muß über die Triftigkeit der Wagnerkritik nicht nur nach dem Maßstab ihrer logischen Konsistenz, sondern auch nach dem ihres rhetorischen Gelingens entschieden werden. Das Kriterium hierfür aber wäre die aufschließende, erhellende Kraft rhetorischer Figuren. 34)


Erst diese Perspektive gibt den Blick frei auf die spezifische Stärke der Wagnerstudie Adornos. Sie liegt, wie ich meine, in dem Vermögen, das Unbehagen an Wagners musikdramatischer Illusionswelt so treffend und so entlarvend zu artikulieren, wie es selten jemandem vor oder nach ihm gelungen ist. Und die Bedeutung so


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