- 29 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Irregulär sind sowohl der Versrhythmus, die Länge der melodischen Phrasen (1 + 1/2 + 1 + 1 + 1 + 2 usw.), die semantisch verbundenen Zeilenkomplexe (2 1/2 + 2 + 3 1/2) sowie die unregelmäßige Verschränkung von Vokalphrase und Instrumentalmotiv (z.B. bei "schickte uns Wotan"). Allerdings ist Adornos Kritik an der Periodenstruktur auch bezüglich Wagners musikalischer Prosa nicht völlig ohne Gegenstand: Gerade dieses Beispiel, an dem Dahlhaus Wagners Emanzipation vom musikalischen Periodenschema zu belegen sucht, zeigt ein verstecktes Weiterleben der symmetrischen Zeitgliederung: Im Orchester ordnet sich die wiederholte Folge von 2-taktiger motivischer Phrase und 2-taktiger Begleitung durch Akkordstützen in das symmetrische Schema von 4 + 4 Takten ein. Und vielleicht kann gerade das nicht mehr selbstverständliche, abstrakte Weiterleben der Periodik unter der veränderten Bedingung musikalischer Prosa verständlich machen, warum Adorno auch den "Ring" vom Vorwurf mechanischer Periodengliederung nicht ausgenommen hat. Dennoch griffe gerade eine Kritik an solchen Relikten der Periodik zu kurz. Denn auch die musikalische Prosa bedarf, will sie sich nicht in Gestaltungslosigkeit auflösen, eines formalen Zusammenhalts. Und neben der "dialogisierenden Melodie" und der Leitmotivtechnik ist es auch das syntaktische Gerüst der Periodengliederung, das den irregulären Gesangsphrasen einen, wenn auch nur latent wirkenden, strukturellen Rückhalt gibt. 26)


III


Ich breche an dieser Stelle die inhaltliche Auseinandersetzung mit Adornos Wagnerkritik ab und werde versuchen, einige Gesichtspunkte ihrer Beurteilung zusammenzutragen.


Die vorgetragenen Beispiele haben eine Vernachlässigung der analytischen Fundierung von Deutungsversuchen erkennen lassen, die nicht nur in der Wagnerstudie, sondern in Adornos musikalischen Schriften insgesamt auffällt. Für sie gilt nicht selten, wenn auch mit unterschiedlichen Einschränkungen, das Verdikt, mit dem er sich von seinem mit 25 Jahren geschriebenen Schubert-Aufsatz distanziert: "Als erste umfangreichere Arbeit des Autors zur Deutung von Musik ließ er ihn passieren ... obwohl die philosophische Interpretation allzu unmittelbar, unter Vernachlässigung der technisch-kompositorischen Tatbestände, sich vorwagt. Kraß ist das Mißverhältnis zwischen dem großen Anspruch, auch dem des Tons und dem Erfüllten; vieles bleibt ... schlecht abstrakt". 27) Das mangelnde Eingehen auf analytische Details überrascht bei Adorno: und zwar nicht zuletzt deswegen, weil er unablässig und in zahllosen Varianten darauf besteht, daß auch die musikphilosophische Erkenntnis auf "engste Fühlung mit den Gegenständen" angewiesen sei, denn gerade "in der Monade des Werkes (also im Detail) (werde) dessen Schicksal entschieden". 28) Der Eindruck drängt sich auf, daß der analytische Einfall bei Adorno vor allem "im Musikhören zündet". 29) Dagegen fehlte ihm für den Nachweis am Notentext, wie de la Motte vermutet, "wohl der leidenschaftliche Antrieb, den der Suchende dem voraus hat, der bereits ingeniös gefunden hat" 30), oder zu haben glaubt.


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