- 24 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Adorno die "Phantasmagorie schlechthin", 10) oder in der sakralen Sphäre des Grals im Lohengrin und Parsifal. 11) Sie bestimmen aber mehr oder weniger die ganze Stoffwelt der Wagnerischen Werke, und dies vor allem dort, wo deren Gestalten als "unveränderliche Menschennatur" im "Vorzeitlichen nebelhaft zerrinnen". 12) In ihrer gesellschaftlichen Funktion lenken die Phantasmagorien vor allem von der Erfahrung von Entfremdung ab. Sie bieten stattdessen Illusionen an, die, wie die Trost und Glück versprechende Welt des Grals, vom potentiellen Leidensdruck in der Realität entlasten. Damit aber unterliegen sie nach Adorno dem Gesetz der Warenproduktion. Denn in ihrem Illusionscharakter gehorchen die Phantasmagorien in letzter Instanz nichts anderem als dem Kalkül der Reklame. Mit ihr haben sie nicht nur die trügerischen Gebrauchswertversprechen gemeinsam. Gerade für den Aspekt der Entfremdung wichtig ist noch ein zweites Moment: nämlich die "Verdeckung von Arbeit", die Tilgung aller Spuren ihrer Entstehung im Kontext gesellschaftlicher Arbeit und mittelbar auch aller Spuren, die an gesellschaftliches "Unrecht, an die Aneignung fremder Arbeit" erinnern könnten. 13) Damit aber sind Phantasmagorien Teil des Entfremdungszusammenhanges, in dem die Menschen sich in ihren Produkten nicht wiedererkennen. Sie können dies nicht, weil sie mit dem Ausblenden des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses von der Erfahrung abgeschnitten sind, daß ihre vermeintlich natürlichen Vorstellungsbilder, Projektionen und Bedürfnisse nichts anderes als psychische Funktionen der von ihnen selbst gemachten Lebensverhältnisse sind: "Wo der Traum am höchsten, ist die Ware am nächsten. Zum Traum tendiert die Phantasmagorie nicht bloß als trügende Wunscherfüllung der Käufer, sondern gerade um der Verdeckung der Arbeit willen: sie spiegelt Subjektivität, indem sie dieser das Produkt der eigenen Arbeit vor Augen stellt, ohne daß die Arbeit zu identifizieren wäre. Ohnmächtig begegnet der Träumende dem Bilde seiner selbst, wie einem Wunder und verbleibt im unentrinnbaren Zirkel der eigenen Arbeit, als wäre dieser ewig; das Ding, von dem er vergaß, daß er es machte, wird ihm vorgegaukelt als absolute Erscheinung". 14)


Das zentrale Strukturmoment in der musikdramatischen Umsetzung geschichtsloser Naturhaftigkeit ist die Entwicklungslosigkeit. Dieser Charakterzug ist es auch, über den, nach Adorno, Ideologisches gleichermaßen und strukturanalog sowohl in die Handlung wie auch in die Musik einwandert. Denn so, wie der Wagner "aller reifen Werke ... (es) verschmäht ..., die Personen zu `entwickeln'", 15) so sehr setzt er sich auch über eine ästhetische Norm hinweg, nach der Musik sich aus sich selbst heraus entwickeln müsse. Trotz aller kraftvollen Dynamik nach außen läßt Wagner die Zeit stillstehen: Aus der prozessual erfüllten Zeit wird eine abstrakte Zeit, in der nichts eigentlich mehr fortschreitet. Diesem Charakterzug sind, nach Adorno, alle Schichten der Gestaltung unterworfen: - z.B. der gestisch-schauspielerische Habitus der Musik, der "die musikalische (Konsequenz-, H. F.) Logik, die vom Material seiner Zeit allenthalben vorausgesetzt wird, aufweicht ... und durch eine Art von Gestikulieren ersetzt, etwa wie Agitatoren durch Sprachgesten die diskursive Entwicklung der Gedanken ersetzen"; 16)


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