- 149 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Auch in der Sprache ist es so. Das, was ich sagen will, muß ich deutlich klar machen, muß faßlich sein." 8) Während der Arbeit and der II. Kantate op. 31 schrieb Webern in einem Brief an Willi Reich: "Es ist formal ein Einleitendes, ein Rezitativ! Aber nun liegt diesem Gebilde eine Konstruktion zugrunde, wie sie vielleicht kein `Niederländer' sich jemals ausgedacht hat; es war die vielleicht schwerste Aufgabe, die ich (in solcher Hinsicht) je zu erfüllen hatte! Zugrunde liegt nämlich ein vierstimmiger Kanon kompliziertester Art. Wie er ausgeführt ist aber, glaube ich, war mir möglich auf Grund des Reihengesetzes, das hier in ganz besondere Erscheinung tritt, ja, dessen Sinn hier vielleicht erst so ganz wirksam wird. Im Platon habe ich gelesen, daß `Nomos' (Gesetz) auch die Bezeichnung für `Weise' (Melodie) war. Die Weise nun, die das Sopran-Solo in meinem Stück singt als Einleitung (Rezitativ), sie möge das Gesetz (Nomos) sein für Alles, was noch folgt! Im Sinne der Goetheschen `Urpflanze'. Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche erfinden ... Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige aussenden lassen: Ist das nicht im tiefsten der Sinn unseres Reihengesetzes?" 9)


Schließlich teilt Webern 1941 seiner Freundin und Textdichterin einiger seiner Werke, Hildegard Jone, in einem Brief zu seinen Variationen op. 31 mit: "Stelle Dir vor: da sind sechs Töne gegeben, in einer Gestalt, die durch die Folge und den Rhythmus bestimmt ist und was nun kommt (in der Dauer dieses ungefähr 20 Minuten langen Stückes) ist nichts anderes als immer wieder diese Gestalt!!! Freilich in fortschreitender `Metamorphose' (im Musikalischen heißt dieser Vorgang `Variation') - aber sie ist es doch nur immer wieder. Goethe sagt vom `Urphänomen': `ideal als das letzte Erkennbare, real als erkannt, symbolisch weil es alle Fälle begreift, identisch mit allen Fällen.` In meinem Stück ist sie das doch, nämlich die erwähnte Gestalt. (Der Vergleich soll ja nur den Vorgang verdeutlichen.)


Nämlich in meinem Stück! das tut sie doch." 10) Der c.f., um den Weberns philosophisch-naturwissenschaftliche Gedanken kreisen, ist die Omnipräsenz eines `Urphänomens', eines `Nomos' (Gesetzes), einer `Urzelle', die einer vielfältigen Metamorphose unterworfen ist, deren Erscheinungen wiederum diese `Urgestalt' widerspiegeln. Webern hat die Provenienz seiner Thesen selbst angedeutet, indem er auf Platons`Ideenlehre' und Goethes `Farbenlehre' und `Metamorphose der Pflanzen' verweist. Adorno spricht in seinen Abhandlungen über Neue Musik von einer solchen Urgestalt - er nennt sie `Monade' und übernimmt damit - mit einigen Definitionsvarianten - W. Benjamins Begriff von der `Monade', der bei ihm identisch ist mit dem Begriff der `Idee'. Nun stammt der Begriff der Monade bekanntlich von Gottfr. Wilh. Leibniz (1646 - 1716), zu dessen `Monadologie' in ihren Grundzügen Benjamin Bezüge herstellt. Ich möchte deshalb einen historischen Exkurs wagen - beginnend mit Leibniz' Monadologie, Goethes Metamorphose einschließend, und zu Adorno über Benjamin hinführen, um schließlich eine Einordnung von Weberns Musik zu versuchen.


Für Leibniz sind Monaden `einfache' Substanzen (einfach heißt, was ohne Teile ist), die in Zusammengesetztem enthalten sind. Sie entstehen durch Schöpfung und enden durch Vernichtung, während das Zusammengesetzte aus Teilen entsteht und in Teile vergeht.


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