- 13 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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die ästhetische Erfahrung der hohen Komplexität ihres Gegenstandes: auch das Kunstwerk besteht nicht in einem säuberlich zu scheidenden "übereinander" von "Schichten", die es konstituieren. 39)


Ist so das reflektierende Bewußtsein schon dem ersten Wahrnehmen inkorporiert, das dadurch erst zum Geltenlassen des Objekts gelangt, so bewährt es sich vollends im weiteren Vollzug der ästhetischen Erfahrung: im Verstehen der Intention und im erkennenden Begreifen des Wahrheitsgehalts der Kunstwerke. Diese stete Präsenz und Wirksamkeit der Reflexion erlaubt es Adorno, vom Innewohnen der Philosophie in der ästhetischen Erfahrung 40) zu sprechen. Andererseits bleibt der Gedanke, der in der philosophischen Erkenntnis zu voller Entfaltung kommt, in der Erfahrung des Kunstobjekts zurückverwiesen auf ein Unmittelbares, die primäre Wahrnehmung, "das Moment der Rezeptivität". "Alle Momente der ästhetischen Erfahrung", so lautet Adornos zusammenfassende These, "sind reziprok". Nicht anders konstituiert sich strukturelles Hören, wie wir eingangs gesehen haben. Diese Reziprozität kommt in besonderer Weise darin zum Ausdruck, daß Adorno die Unmittelbarkeit - getreu seinem Einspruch gegen die "Willkür", sie als unvermittelten Anfang festzuhalten - auch als ein mögliches, ja wünschenswertes Ende des Erfahrungsprozesses vorstellt. "Die ideale Wahrnehmung von Kunstwerken" wäre für ihn die, in der das durch Reflexion Vermittelte, sozusagen auf höherer Ebene, wieder "unmittelbar wird". "Naivität" ist in dieser Perspektive "Ziel, nicht Ursprung" 41) - geradezu eine pädagogische Aussage.


Wie eine solche Naivität sich verwirklichen könnte, mag aus den Worten hervorgehen, mit denen Adorno das Äußerste an möglicher Erfahrung zu fassen sucht. Indem er - beschreibend und kommentierend - alle ihre Momente zusammenbindet, tritt ihr Innerstes für einen Augenblick ins Licht - jener Kern der Erfahrung, der sich im Grunde der Versprachlichung entzieht. "Betroffenheit durch bedeutende Werke benutzt diese nicht als Auslöser für eigene, sonst verdrängte Emotionen. Sie gehört dem Augenblick an, in dem der Rezipierende sich vergißt und im Werk verschwindet: dem von Erschütterung. Er verliert den Boden unter den Füßen; die Möglichkeit der Wahrheit, welche im ästhetischen Bild sich verkörpert, wird ihm leibhaft. Solche Unmittelbarkeit im Verhältnis zu den Werken, eine im großen Sinn, ist Funktion von Vermittlung, von eindringender und umfassender Erfahrung; diese verdichtet sich im Augenblick, und dazu bedarf es des ganzen Bewußtseins, nicht punktueller Reize und Reaktionen. Die Erfahrung von Kunst als die ihrer Wahrheit oder Unwahrheit ist mehr als subjektives Erlebnis: sie ist Durchbruch von Objektivität im subjektiven Bewußtsein." 42)


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