- 427 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Bonnet.10
10 Schmidt 1990, S. 241.
Indem beide das Stück nacheinander spielen, werden sie – sozusagen als Grundlage ihrer wechselseitigen Beziehung – zunächst anhand ihres Vortrages charakterisiert. Quentin, der Junge aus reichem Hause, ist verwöhnt und hat keine rechte Lust zum Klavierspielen. Bonnet hingegen ist ernsthaft, introvertiert und sensibel, ein »Schubert-Typ«. Dementsprechend spielt er das Stück mit viel Einfühlungsvermögen, was Quentin lediglich zu dem Kommentar veranlaßt: »So ein Streber.« Das Verhältnis zwischen beiden ist an dieser Stelle noch durch eine gewisse Rivalität gekennzeichnet, die sich in der darauffolgenden Szene im Klassenzimmer fortsetzt. Der Mittelteil erklingt hier um acht Takte verkürzt, so daß er frühzeitig auf dem abschließenden Dominant-Sept-Akkord stehenbleibt, die Auflösung durch den wiederkehrenden A’-Teil bleibt aus, d.h. der spannungsgeladene Konflikt zwischen den beiden Jungen bleibt während des Unterrichts bestehen, wo Bonnet einen Brief von seiner Mutter verliert, den Quentin in die Hände bekommt.

Der dritte Einsatz des Schubert-Zitates: Quentin liegt in der Badewanne und starrt ins Leere. Das Geschrei der anderen Kinder verhallt langsam, dafür erklingt die Melodie der ersten fünf Takte des B-Teils, ohne Dreiklangsbegleitung (vgl. Abbildung 14.3).11

11 Schubert 1987, S. 76–77.



Abbildung 14.3: F. Schubert: Moment Musical Nr. 2 As-Dur op. 94 (D 780), Mittelteil (verkürzt


Die Melodie ist durch den Pedaleinsatz verhallt. Sie ist ein Nachklang aus der Klavierunterrichts-Szene, an die Quentin sich erinnert.12

12 Schmidt 1990, S. 242.
Wer als Zuschauer zunächst nicht realisiert hat, daß es sich bei dem Zitat der vorangegangenen Szene um den B-Teil des Moment Musicals Nr. 2 handelt, der wird spätestens an dieser Stelle merken, daß Schubert eine syntaktische Funktion erfüllt, die aus der Montage abgeleitet wird. Das Stück charakterisiert das Verhältnis der beiden Jungen zueinander und seine Entwicklung im Laufe der Dramaturgie. Dabei tropfen die Töne hier genauso vor sich hin wie der Wasserkran, dessen Geräusche dominierend die Gegenwart andeuten. Umso entrückter wirkt das Schubert-Motiv, wobei Quentin die spöttischen Worte seiner Klavierlehrerin wieder in den Sinn kommen: »Du solltest mal Violine versuchen.« Das Klavier ist also das Instrument der Begabten, zu denen sie Julien im Gegensatz zu Bonnet nicht zählt. Während in der vorhergehenden Szene die Rivalität zwischen beiden offenbar wurde, so nähert sich Julien Bonnet nun langsam an. Dies geschieht jedoch zunächst lediglich in seinen Gedanken, die verhaltene Melodie ist ein Indiz für seine vorübergehende Introvertiertheit. Erst die Stimme Pater Michels holt ihn wieder in die Gegenwart zurück.

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