- 426 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (425)Nächste Seite (427) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

roter Lippenstift (das einzige Rot, das Malle im Film sehen wollte). Schuberts Musik verleiht ihrem Charakter den Eindruck von »nobler Tristesse«5
5 Schmidt 1990, S. 241.
. Ihre eigenen Kinder sprechen sie mit einem förmlichen »Sie« an, sie ist ein Aushängeschild des gehobenen Bürgertums. So dient Schubert hier nicht zuletzt auch der Charakterisierung des gesellschaftlichen Milieus, aus dem Julien stammt. Da ist zunächst das Klavier als sozialer Index des Bürgertums.6
6 Vgl. Kap. 9.3.1.
Darüber hinaus gehört Schuberts Moment Musical zusammen mit den Impromptus und den Tänzen zu jenen poetisch lyrischen Kompositionen, mit denen Schubert der Zeit des Biedermeier entsprach, in der das Klavier als bürgerliches Hausinstrument unentbehrlich wurde. Musik wurde zunehmend auch zur Sache der Liebhaber und Dilettanten. Ohne diese wäre eine sich auf breiter Basis entfaltende Musikkultur des Biedermeier nicht denkbar gewesen. Schubert war in diese gesellschaftlichen Erscheinungsformen Wiens zwingend eingebunden.7
7 Hilmar 1997, S. 7.
Als letzter konnotativer Hinweis dient der Name Schubert selbst, zumindest für den, der das Zitat erkennt. Der Komponist, der selbst für viele seiner Freunde stets ein »Rätsel« blieb, war zweifellos eine eigenwillige Persönlichkeit, ein leidgeprüfter Außenseiter. Er war nicht bereit, sich Zwängen unter-zuordnen und paßte sich gesellschaftlichen Gepflogenheiten, wenn überhaupt, nur ungern an. Er hatte eine stete Neigung zur Melancholie, war verschlossen und mied Gesellschaften.8
8 Hilmar 1997, S. 108–111.

Im Klavierunterricht wird Schuberts Moment Musical ein zweites Mal zitiert, dieses Mal der in fis-Moll gehaltene Mittelteil (vgl. Abbildung 14.2).9

9 Schubert 1987, S. 76–77.



Abbildung 14.2: F. Schubert: Moment Musical Nr. 2 As-Dur op. 94 (D 780), Mittelteil


Das Stück wird zunächst von Quentin, dann von Bonnet gespielt wird. Anhand der ersten Einstellung wird zunächst die Rolle des sozialen Indexes nachträglich legitimiert. Das Bürgertum läßt seine Kinder Klavier spielen; man umgibt sich gerne mit Kultur, es gehört zum »guten Ton«, ungeachtet dessen, ob das Kind Talent hat oder nicht. So übt Quentin das Stück denn mehr schlecht als recht mit der Bemerkung: »Meine Mutter will unbedingt, daß ich Klavier spiele.« Hier wird zum ersten Mal deutlich, daß Schuberts Werk eine syntaktische Funktion im Film erhält. Das Eingangszitat war also eine Vorwegnahme, die nicht nur den emotionalen Gestus der gesamten Dramaturgie charakterisieren sollte. Schuberts Stück bekommt eine tragende »Rolle«. Sie wird syntaktisch wie auch dramaturgisch-emotional gesehen zur musikalischen Klammer zwischen den beiden Protagonisten Quentin und


Erste Seite (i) Vorherige Seite (425)Nächste Seite (427) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 426 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik