Schönheit spricht. Dem Zeitlassen des Mädchens entspricht hier
Zeithaben des Todes. In Anlehnung an die antike Vorstellung porträtiert Claudius
den Tod eher als Bruder des Schlafes, als »Freund Hain«. Diesen hat er auch
als Kupferstich dem ersten Band seiner Sammlung aus dem Jahre 1775
vorangestellt.14
Der Tod ist nicht als wilde Strafe dargestellt, sondern wird als sanfter Bote aus der
Götterwelt geschildert, der nicht als plötzlicher Schrecken kommt, sondern mit
tiefernster Trostgebärde das Mädchen in seinen Armen in den Schlaf wiegt,
um ihr jenen »ewigen Frieden« zu geben. Diese antike Auffassung des Todes
war Claudius nicht unbekannt, doch für ihn selbst, so Claudius, sei die alte
Vorstellung vertrauter, er sei bei seinem Kupferstich »doch lieber beim Knochenmann
geblieben«15.
Dieses Bild habe für ihn etwas Tröstliches und Freundliches: »Er ist auch so, dünkt
mich, recht schön, und wenn man ihn lange ansieht, wird er zuletzt ganz freundlich
aussehen.«16
Mit dieser positiven Auffassung vom Tod lehnt er sich an die Gedanken Lessings (Wie
die Alten den Tod gebildet, 1769) und Herders an. In ihren Essays vergleichen sie
die antike klassisch griechische Todesvorstellung des schönen Jünglings, des
Genius, mit dem mittelalterlichen Bild des abstoßenden Furchtgerippes. Sie
unterscheiden zwischen dem Tod als Strafe, ihrer Meinung nach ein abergläubisches
Mißverständnis in der Religion, und dem Konzept des sanften und tröstenden Todes
als Symbol des Schlafes, das ihnen im Zeitalter der Aufklärung angemessener
erschien.17
Schuberts Vertonung erfaßt die dramatische Anlage des Gedichts in der Gestaltungsweise einer Opernszene, so faßt Raab zusammen. Das achttaktige Vorspiel stellt die Tonart d-Moll in tiefer Lage im akkordischen Satz vor (vgl. Abbildung 13.2).18
Die Mädchenstrophe ist als dramatisches recitativo accompagnato komponiert. Dabei folgt Schubert der Metrik des Gedichts, indem das Mädchen erregt spricht. In ihrer Strophe herrscht angsterfüllte Atemlosigkeit vor, das Singen ist von Pausen unterbrochen (vgl. Abbildung 13.3).19
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