- 299 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (298)Nächste Seite (300) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Mahlers vierter Satz (D-Dur) beginnt nach dem Liegeton A mit einer langgedehnten instrumentalen Einleitung der Celli- und Baßstimmen (Takt 1 bis 11), die sich auf den Sekundenwechsel zwischen A und H beschränkt: Cardus bezeichnet die Einleitung auch als »Naturmotiv« (vgl. Abbildung 11.10).201

201 Mahler 1974, S. 181.



Abbildung 11.10: G. Mahler: Sinfonie Nr. 3 d-Moll IV. Satz, »Naturmotiv«


In Takt 9 bis 11 folgt der Sekundenwechsel in Halben, der jeweils durch eine Pause getrennt ist. Bekker sieht in dieser Einleitung das »Grundmotiv des Naturschlafes«.202

202 Bekker 1969, S. 128.
Erst mit dem Eintritt der rezitativen Altstimme füllt sich der Satz akkordisch auf. Mit dem ersten »O Mensch!« der Altstimme ist der harmonische Grundcharakter des Satzes bezeichnet, denn er setzt sich zusammen aus frei schwebenden Harmonien. Während das »O« den akkordischen Satz in F-Dur ausfüllt, folgt mit dem Wort »Mensch« a-Moll. In Takt 13 und 14 lautet die Folge fis-Moll und a-Moll, was den Tonartenabstand noch steigert. Die überaus lange Generalpause bekräftigt den Eindruck dieses Ausrufes. In den Takten 14 bis 17 wechseln die Harmoniefolgen ausgehend von dem Kernton a im ersten Horn mit der oberen Wechselnote des ersten Horns nach h-Moll, e-Moll und G-Dur, ohne sich jeweils in einer Kadenz aufzulösen. Der Vortragsanweisung der Alt-Stimme »mit geheimnisvollem Ausdruck«, die der Einleitung von Nacht, Traum und Ewigkeit vorausgeht, entspricht somit eine Kompositionsstruktur, die auf die Harmoniestrukturen alter modaler Kirchentonarten zurückgeht. Bei der Fortführung verfährt Mahler jedoch wieder völlig anders, denn ab Takt 18 basiert das gesamte harmonische Geschehen auf dem Orgelpunkt D in den tiefen Streichern, genauer auf der Bordunquinte D-A in kontinuierlichen Wechselnoten. Die Posaunen gemischt mit den Harfenbässen leiten mit der Durterz fis-a den Auftakt der Solostimme ein. Der Zielton e des Gesangs Auf »Acht« kontrastiert deutlich zum Streicherfundament. Die Posaunen können hier als Mahlers Referenz zum »Naturklang« gelten. Erst nach zweimaligem Ansatz im Alt (»Gib Acht!«) drängt aus den Terzparallelen in den Hörnern ein melodischer Kern hervor (Takt 24–27). Unter dem Vorantritt der Hörner greift der Alt diese Melodie auf (D-Dur). Mit dem Wort »-nacht« verdunkelt sich jedoch die Harmonie in einem Trugschluß in d-Moll. Wie um diesen Effekt zu verstärken, wiederholt die Oboe dreimal die Terz d-f mit dem Zusatz »Wie ein Naturlaut.« Die Worte »Ich schlief«, die analog zu dem vorhergehenden »Gib Acht« sind, markieren nach Bekker jenes »mystische Versenktsein in einen dämmernden Urzustand des Wesens.« Mit den Zeilen »Aus tiefem Traum – bin ich erwacht« stabilisiert sich die Melodie (Takt 45 bis 48) (vgl. Abbildung 11.11).203
203 Mahler 1974, S. 184.

Erste Seite (i) Vorherige Seite (298)Nächste Seite (300) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 299 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik