- 300 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Abbildung 11.11: G. Mahler: Sinfonie Nr. 3 d-Moll IV. Satz


Doch mit dem folgenden »Die Welt – ist tief«, bei dem sich jeweils die Durterz zum Baß ins Moll wendet, stockt der vorhergehende Aufschwung der Melodie wieder. Mit »und tiefer« rutscht die Harmonie weiter in die Doppeldominante der Dur-Tonika D-Dur. Dieser Vorgang wird schließlich auskomponiert in den Zeilen »als der Tag gedacht«: Subdominante der Dur-Tonika, Dominante A-Dur und Tonika D-Dur umschreiben eine erweiterte Kadenz, die den harmonischen Spannungsbogen zusammenfaßt. Dem stockenden Ansatz des Textes antwortet damit die Harmonik, indem sie vom rätselhaft unbezogenen Ton- und Klangwechsel über das Bordunfundament und jene Spannungsklänge von Moll und Dur zu allmählicher Klarheit führt. So entsteht ein Eindruck von traumhafter Unwirklichkeit des Beginns, der zur Gegenwärtigkeit führt. In dem Zwischenspiel (Takt 57 bis 67) setzt sich erstmals die D-Dur-Tonalität ungestört fort. Die Baßschritte Tonika-Dominante werden in den Bässen im Tremolosatz ausharmonisiert. Der Auf- und Abschwung der Melodie in den Violinen und Hörnern wird zusätzlich durch zahlreiche Vorhalte intensiviert. Damit hebt sich dieser instrumentale Teil von der Vokalpartie deutlich ab.

Der erste Teil vollendet die erste Strophe Mahlers. Der Mensch, der zu einem unbezogenen Klangfeld Mahlers erwacht und die Schönheit der Welt erblickt, begreift jedoch, daß diese Schönheit nur ein Schein ist, die sich am Tage auflöst (»Die Welt ist tiefer als der Tag gedacht«). Wie eine Bestätigung des trüben Scheins intakter Schönheit folgt das instrumentale Zwischenspiel, das ziellos auf- und abschwingt. Hier werden bereits die Metaphern »Lust und Leid« der zweiten Strophe angedeutet, die jenes Zurücksinken des Menschen in den »Urzustand« der ersten Takte charakterisieren. In Takt 71 setzt der Naturlaut erneut ein. Damit folgt der Auftakt zur zweiten Strophe Mahlers, in der jener trügerische Schein enthüllt wird als »Weh der Welt« (Takt 99–102). »Weh« und »Lust« stehen sich in der zweiten Strophe gegenüber. Der Satz schließt mit den Worten »Doch alle Lust will tiefe Ewigkeit.«204

204 Krummacher 1991, S. 124–129; vgl. auch Hansen 1996, S. 92–93.

Es ist fraglich, ob Mahler Nietzsches philosophisches Denken bei der Komposition vor Augen hatte, wohl läßt sich aus der Struktur und der Harmonie heraus feststellen, daß er den Text an sich interpretiert hat, denn er folgt den Metaphern des Textes mehrfach. Zum einen gliedert er die Vorlage derart, daß sie sich in einen kompositorischen Plan fügt; zum anderen gliedert er diesen Plan so, daß er zugleich der Textaussage folgt. So beginnt der Satz in einem »Urzustand« amorpher Intervalle, die er im Laufe der ersten Strophe in zunächst beziehungsarmen Klängen


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