sich auf die antisemitische Projektion stützen. Lucien begehrt
das jüdische Mädchen mit den rehbraunen Augen nicht, obwohl, sondern weil sie Jüdin
ist.104
Das Adagio Sostenuto, der I. Satz der Mondscheinsonate, beendet die Linie der Zitate. Lucien holt France ab, um mit ihr auf eine Party zu gehen. Auch hier steht die emotionale Aussagekraft der Sonate ein weiteres Mal außer Frage (vgl. Abbildung 9.5).105
Die Widmungsträgerin dieser Sonate, die Gräfin Giulietta Guicciardi, war Beethovens Schülerin und zugleich seine »große unglückliche Liebe«. So liegt die Vermutung nahe, so Werner-Jensen, daß sich von dieser Zuneigung mehr als nur Spuren in der Musik finden lassen ohne daß man deshalb ausdrücklich von einer außermusikalischen Deutung der Sonate reden wollte.106 Auf jeden Fall stellt das eröffnende »Mondschein-Adagio« ein extrem einseitiges, radikal auf den Tonfall einer einzigen melancholischen Gemütslage abgestimmtes Charakterstück dar. Beethoven verzichtet sogar zugunsten dieser emotionalen Einseitigkeit auf ein Formmodell. Das gleichmäßige Pulsieren der begleitenden Achtel-Triolen findet in der stoischen Ruhe aller Figuren in dieser Szene sein dramaturgisches Pendant. Die Großmutter, die noch vom Ghetto gezeichnet zu sein scheint, duldet Lucien unwillig; Horn hört dem Vortrag seiner Tochter mit starrem Blick zu. Die Wut über seine Lebensumstände und seine Machtlosigkeit kehrt sich hier in absolute Lethargie. Er hat Angst, in dem Gefängnis zu verkommen. Seine Trauer über den Verlust seines gesellschaftlichen Status und den seiner Tochter, die als Jüdin nicht am Konservatorium |