dienen vielmehr als Katalysator, der
die Entwicklung in den Reihen der Franzosen in Gang hält. Vor diesem Hintergrund
spielt sich die eigentliche Thematik des Films ab: Malle setzt in jenes korrigierte
Geschichtsbild die Geschichte eines Individuums, des Bauernjungen Lucien. Er zeichnet
das sachliche Porträt eines ewigen Mitläufers, der über keinerlei kulturelle Abwehrkräfte
verfügt: »Ich habe [. . . ] zeigen wollen, wie das Räderwerk des Faschismus bei
einem jungen Menschen funktioniert, der zu einer Art ›Lumpenproletariat‹
gehört und außerstande ist, sich Rechenschaft über das zu geben, was er
tut.«92
In Zusammenhang mit Luciens sozialer Einordnung ist das erste Zitat einer Sonate Beethovens von Bedeutung. Als Jean-Bernard Lucien zum ersten Mal zu dem jüdischen Schneider Horn bringt, ertönen bereits im Garten entfernt die ersten Takte von Beethovens im Jahre 1821 entstandener Klaviersonate Nr. 31 As-Dur op. 110, I. Satz (vgl. Abbildung 9.2).93
Es ist der zweite Teil des ersten Themas, ein geradezu »singender Anschlag«, eine elegisch strebende, begeistert aufschwingende Melodie über einer konventionellen Sechzehntelbegleitung. Als Lucien und Jean-Bernard sich dem Haus durch den Garten nähern, erklingen die ersten vier Takte dieser Melodie, die zusammen mit dem Gezwitscher der Vögel eine friedliche Idylle assoziiert. »Frühlings Erwachen« schwebte auch Wagner vor, als Liszt ihm op. 110 vorspielte.94 Doch diese Idylle ist trügerisch, wie bereits die erste Szene des Films gezeigt hat. Sie ist eng verwoben mit brutaler Gewalt. Im Treppenhaus werden die Klänge lauter, räumlicher. Als Jean-Bernard an die Wohnungstür klopft, bricht die Sonate ab. Es muß also jemand in der Wohnung Klavier gespielt haben. Die Idee zu dieser Art Musikeinsatz kam Malle während seiner Drehvorbereitungen: »Als ich eines Tages durch Figeac ging, |