- 207 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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dessen Spiel von der Unfähigkeit gekennzeichnet ist, Stücke rhythmisch adäquat auszuführen. Nicht nur das:

Im weiteren Verlauf des Unterrichts stellte sich heraus, daß Robert weder in der Lage war, einen einfachen Rhythmus nachzuklatschen, noch klatschend das Metrum zu halten. (Saxer 1998, S. 12).

Die Autorin diagnostiziert das Problem in einer »Störung der unmittelbaren Nachahmung« (ebd., S. 16) und setzt bei der musikalischen Vorstellungsbildung an. So durfte Robert nun zu verschiedenen Beschreibungen improvisieren, die ametrische oder metrische Gestaltung implizierten (wie beispielsweise ›Schnee fällt‹ oder ›Perlenkette‹). Schon nach wenigen Wochen imitiert Robert in einer Improvisation den Rhythmus eines ihm bekannten Liedes. Im Gespräch darüber stellt sich jedoch heraus, dass Robert nicht bewusst gehandelt hat und noch nicht in der Lage ist, auch mit dem Verstand zu erfassen, was er intuitiv richtig macht.

Saxer führt die Probleme des Jungen auf die ausschließliche Herangehensweise über die Verständnisebene zurück:

Robert hatte auf dem Gebiet des Rhythmischen bereits einige Erfahrungen gemacht. Fragte sich nur, welche? Bei einigen Stücken prangten dicke rote Zählstriche über den Noten, die offensichtlich nichts weiter als eine tiefsitzende Blockade hinterlassen hatten. (ebd., S. 12f.).

Ausführlich stellt die Autorin dar, welche kognitive Herausforderung der gedankliche Umgang mit dem Phänomen der Zeit bedeutet. Für den Bereich der Musik gilt:

Die komplexe Relation von gleichmäßigem metrischem Puls und unter Umständen unregelmäßiger, freier rhythmischer Gestalt muß erfaßt werden. Einen zusätzlichen Parameter stellt das komplizierte und dazu ebenfalls von Stück zu Stück variable Gefüge der Taktschwerpunkte dar. (ebd., S. 15, vgl. die Abschnitte 6.3 und 8.5.1).

Das Bemerkenswerte an Marion Saxers Ansatz ist der mehrschichtige Blickwinkel. Sie reduziert Rhythmus nicht auf den Aspekt des formalen, rechnerisch zu erfassenden Bezugssystems (auch wenn sie diesen Aspekt in seiner entwicklungspsychologischen Dimension ausführlich erörtert), sondern stellt klar, dass besonders jüngere Kinder Zeitgestalten ganzheitlich-intuitiv erfassen. Diese Sichtweise steht in Übereinstimmung mit den in Abschnitt 8.5.1 entwickelten Erkenntnisse. Außerdem vertritt Saxer die Meinung, dass das Erleben des Grundschlags Basis für den souveränen Umgang mit Rhythmen ist, sie formuliert, dass »die Erfahrung zeitlicher Periodizität […] eine Voraussetzung aller weiteren rhythmischen Verstehensprozesse bildet« (S. 16). Dieser Standpunkt deckt sich mit der in Abschnitt 8.1 formulierten These, dass das Empfinden von Isochronie (von Saxer als Metrum benannt) Grundlage sowohl für das Verständnis von irregulären als auch regelmäßigen Klanggestalten ist.

Eine grundlegende Erkenntnis der vorliegenden Arbeit ist die Tatsache, dass melodische und rhythmische Strukturierung helfen, das Phänomen des Grundschlags zu erfassen. Diese Aussage wird durch Saxers Fallbeispiel ebenfalls gestützt: Robert zeigt in einer melodischen Improvisation erstmalig rhythmisch-metrische Stabilität.


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