nennt: »Der Terminus erinnert daran, daß der Schritt das Vor-, wenn
auch vielleicht nicht das Urbild eines rhythmischen Ereignisses ist. Er besteht
aus einer Phase des Senkens und des Hebens […]. Im Verhältnis von Arsis und
Thesis manifestiert sich die rhythmische Qualität eines Pes.« (Seidel 1998,
Sp. 269).
Hier wird eine Problematik beschrieben, die konkrete Bezüge zu musikpädagogischen Lernsituationen hat: Rhythmus ist mehrdimensional. Denn ein Rhythmus besteht einerseits aus den erklingenden Dauern, diese werden andererseits mit einem in der Regel nicht existenten Grundschlag in Beziehung gesetzt, eventuell auch hinsichtlich einer regelmäßigen Betonungsstruktur beurteilt. Die Zuwendung zum Rhythmus kann auf intuitive, die Gestalt betreffende Weise geschehen, kann aber auch die rechnerisch-proportionalen Aspekte in den Vordergrund stellen. Beide Herangehensweisen haben ihre Berechtigung (vgl. auch die Abschnitte 6.2 oder 7.3). Im dritten und zweiten Jahrhundert gerät die römische Kultur zunehmend unter griechischen Einfluss. Wenn die lateinische Übersetzung des Rhythmus-Begriffs (s. o.) nun mehr den zählenden Aspekt betont, fügen sich dennoch mehrere weitere Definitionen in die der klassischen griechischen Philosophie und Musiktheorie dargelegt von Platon, Aristoteles und Aristoxenos. Ein Ansatz, der sowohl Marius Victorinus (2. Hälfte 4. Jh.) als auch Varro (116 – 27 v. Chr.) zugeschrieben wird, stellt wieder den Aspekt von Bewegung in den Vordergrund, und meint »Rhythmus entsteht, wo immer zwei einander entgegengesetzte Phasen einer Bewegung in ein Verhältnis zueinander gebracht werden, das die Menschen als ausgewogen oder wohltuend empfinden.« (Seidel 1993, S. 10). Weiter sagen sie über den Rhythmus aus, »dieser sei eine behende, leichte Zusammensetzung von Zeiten oder Pedes, die Arsis und Thesis zugeordnet werden. Der Rhythmus ist demnach das System, in dem die Elemente der Künste, die Zeiten und in größeren Dimensionen die Füße so zueinander in Bezug gesetzt werden, daß sie Wohlgefallen erregen.« (Seidel 1993, ebd.). Didymus (Mitte des 1. Jh. v. Chr.) legt den Fokus auf das Ergebnis rhythmischer Formung, das Schema: »Wo der Laut, der Klang, die Rede […] Gestalt annimmt, und zwar in einer bestimmten Weise (das meint im Sinne eines genus rhythmicum), dort ist Rhythmus.« (ebd.). Eine weitere Definition, Phädrus (gest. um 50 n. Chr.) zugeschrieben, bezieht sich nur auf die Sprache, die Ordnung der Silben, die durch bestimmte Verhältnisse verbunden sind. Wie für Aristoxenos gilt für ihn ein abstraktes Maß, das ›tempus‹ als Grundlage der Verhältnisse. Nikomachus (1. Hälfte 2. Jh.) betont das Wohlgeordnete, Wohltuende an der Bewegung der Zeiten, was den Rhythmus ausmacht. Hephaistion (2. Hälfte 2. Jh.) meint u. a., dass Rhythmus da entsteht, wo Zeiten und Pausen zu etwas Anschaulichem aufeinander bezogen werden und somit Gestalt ersichtlich wird (zum wahrnehmungspsychologischen Phänomen der Gestalt vgl. Abschnitt 6.2). Festzuhalten bleibt die Tatsache, dass sich die Theoretiker der Antike umfassend mit allen Fassetten temporaler Gestaltung auseinandergesetzt haben:
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