- 136 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (135)Nächste Seite (137) Letzte Seite (264)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Die Hirnrinde als Ort bewusster Steuerung hat einen Anteil an der Verarbeitung zeitlich-rhythmischer Prozesse.

Neben den genannten Bereichen von Großhirn und Zwischenhirn wird auch das Kleinhirn als bedeutsam für Zeitverarbeitungsprozesse erachtet: In verschiedenen Versuchen konnte Richard Ivry (1993) nachweisen, dass Menschen mit Kleinhirn-Läsionen in der Zeitdauer-Diskrimination beeinträchtigt sind. Das Kleinhirn ist eine Struktur, die besonders mit der Koordination von motorischen Aufgaben in Zusammenhang gebracht wird. Diese Tatsache stützt Ivrys Hypothese:

Our hypothesis is that the prominent role of the cerebellum in motor control is because most coordinated actions require fine timing. More important, the computational capabilities of this structure are not restricted to the motor domain, but are also accessible to nonmotor tasks that are dependent on precise timing. (ebd., S. 217).

Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Schwierigkeiten von Kleinhirn-Patienten bei Tapping-Aufgaben mit der Art der Läsion zusammenhängt: mediale Läsionen verursachen eher motorische Probleme, laterale Läsionen verursachen Timing-Probleme (vgl. ebd., S. 219). Ivry untersuchte auch die Zeitverarbeitung in Zusammenhang mit der Artikulation und Entschlüsselung von Sprachlauten. Grundlage dafür war die so genannte »voice-onset time (VOT)« (ebd., S. 222). Im Englischen liegt die VOT für die Silbe ›ba‹ bei nahezu 0 ms während die VOT für die Silbe ›pa‹ ungefähr 40 ms beträgt. Die Unterscheidung beider Laute bedarf also eines Zeitverarbeitungsprozesses. Es zeigte sich, dass Personen mit Kleinhirn-Verletzungen Sprachlaute unbeeinträchtigt wahrnehmen, diese Laute jedoch nicht deutlich artikulieren konnten. Dies führte zu der Annahme, dass das Kleinhirn nur für das explizite Timing verantwortlich sei, nicht für implizit ablaufende Prozesse. Anzumerken bleibt, dass es ja gerade in der Musikausübung um die Feinsteuerung motorischer Abläufe, eben um das explizite Timing, geht.

Das Kleinhirn übernimmt eine bedeutende Rolle in der zeitlichen Feinsteuerung von Bewegungen.

Noch eine weitere Hirnregion nimmt Teil an zeitlicher Steuerung: das Atemzentrum im unteren Hirnstamm sorgt für den rhythmisch-regelmäßigen Verlauf von Ein- und Ausatmen (vgl.  Abschnitt 4.1.3).

Die folgende Abbildung zeigt die genannten Hirnbereiche:


Erste Seite (i) Vorherige Seite (135)Nächste Seite (137) Letzte Seite (264)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 136 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus