- 135 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Der Hypothalamus als wichtige Steuerungszentrale des vegetativen Nervensystems registriert und synchronisiert langsame, tagesperiodische Abläufe.

Eine weitere bedeutsame Region des Zwischenhirns ist der Thalamus. Diese zentrale, subkortikale Sammel- und Umschaltstelle wird häufig als ›Tor zum Bewusstsein‹ bezeichnet. Denn hier laufen Informationen von Innen- und Außenwelt zusammen, und erhalten eine emotionale Tönung (Lust/Unlust). Der Thalamus ist auch am Zustandekommen von willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen beteiligt. Auch für den Thalamus wird angenommen, dass dort Zeitgeberzellen existieren, diese weisen eine Spontanfrequenz zwischen 5 und 70 Hz auf (vgl. Klöppel 1997, S. 236). Keidel spricht von »als Zeitnormale funktionierenden Einzelneuronen« (Keidel 1977, S. 12) und geht davon aus, dass diese bei der Spracherzeugung des Menschen als synchronisierende Taktgeber fungieren (vgl. auch den Abschnitt über die zeitliche Steuerung des Sprechens 5.3). Da Sprache und Musik von weitgehend einander entsprechenden Elementen gestaltet werden (vgl. Kapitel 5), liegt der Gedanke nahe, dass diese Funktion auch für musikalische Äußerungen relevant ist.

Der Thalamus als bedeutende Sammel- und Umschaltstelle sensorischer Reize synchronisiert u.a. die zeitliche Sprachsteuerung.

Auch im Großhirn wird die Existenz von Zeit-Zählern angenommen. Eine Alltagserfahrung ist, dass Ereignisse oder Zeiträume dann umso nachhaltiger erinnerbar bleiben, je mehr sie affektiv besetzt waren – im positiven wie im negativen Sinne. Ein Funktionssystem, das als entwicklungsgeschichtlich sehr alter Teil des Großhirns gilt, ist das so genannte limbische System. Dieser Bestandteil des Temporallappens ist sowohl an Gedächtnisprozessen als auch deren emotionaler Tönung beteiligt. Da Zeit im Gedächtnis (re-)konstruiert und gespeichert wird, erscheint es plausibel, dass hier auch Zeitverarbeitung stattfindet (vgl. Grüsser, S. 126). Das limbische System steht auch in Zusammenhang mit der Regelung tagesperiodischer Vorgänge wie dem Schlaf-Wach-Verhalten und der Körpertemperatur in Zusammenhang (vgl. Abschnitt 4.4.1).

Das limbische System als ›archaischer emotionaler Speicher‹ wirkt an der Verarbeitung von Zeit- und Rhythmusprozessen mit.

Nicht nur in der Tiefe des Großhirns sondern auch in dessen Rinde werden Neuronennetze vermutet, die in der Lage sind, Impulse interner Zeitgeber zu registrieren. Die Tatsache, dass nach einer Verletzung der sprachverarbeitenden Areale nicht nur die Sprache beeinträchtigt, sondern auch Zeitschätzung und Rhythmusverarbeitung betroffen sind, spricht dafür, dass eben dort entsprechende ›Zeitzähler‹ verortet sind (vgl. Grüsser 1998, S. 125f.). Gegen diese Annahme spricht, dass globale Aphasie nicht mit zeitlicher Desorientierung einhergehen muss. Deshalb sind auch in der nicht-sprachverarbeitenden Hemisphäre Zeit-zählende Strukturen zu vermuten. Da die Großhirnrinde als Ort der Bewusstseinsbildung letztlich an allen gedanklichen Vorgängen mitwirkt, ist es an sich selbstverständlich, dass auch ein großer Anteil an Zeitverarbeitung eben dort geleistet wird. Gerade im Zusammenhang mit der Verarbeitung musikalischer Rhythmen gibt es eine große Zahl von Studien, die die neuronale Repräsentation zeitlich-rhythmischer Prozesse fokussieren, diese finden eine Darstellung in Abschnitt 7.3.3.


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