Dauer werden hier nicht beachtet. M. 2 bildet die
Anzahl
und Dauer der Ereignisse ab, in M. 3 findet die
Relation der kurzen und
langen Ereignisse Beachtung: zwei kurze Klänge füllen die Zeit eines langen
Klangs. Hier zeigt sich die Verständnisebene eines geschlossenen, proportionalen
Zeichensystems.
Allerdings neigen nicht nur Kinder dazu, Rhythmen figural aufzufassen. Auch
ungeübten Erwachsenen ist die gestalthafte, motivische Sichtweise plausibel:
»This sense of gestural-grouping, of ›going together‹ seems most ›right‹ not
only to the majority of eight-nine year-old children but […] to the majority
of musically untrained adults as well.« (Bamberger 1980, S. 176f.). Übung im
Umgang mit dem traditionellen Notensystem führt dagegen bei entsprechenden
Versuchspersonen dazu, dass diese eher metrisch notieren (vgl. auch Upitis 1987,
S. 58).
Einen deutlichen Hinweis für die nicht zu unterschätzende Bedeutung der
figuralen Komponente der musikalischen Wahrnehmung ist der Befund, dass
Versuchspersonen, die zu erklingender Musik den Taktanfang durch Tapping markieren
sollen, dies nur zu einem geringen Teil wie erwartet taten. Nur 40 % trafen die
erste Zählzeit, 45 % markierten die Zählzeit zwei (im Zweiviertel-Takt), 10 %
markierten jede Zählzeit. Zu einem Dreiviertel-Takt wurde das Tapping von 80 % der
Versuchteilnehmenden so ausgeführt, als handele es sich um einen Zweier-Takt
(vgl. Fraisse 1982, S. 173). Die Hörenden werden als mit klassischer Musik vertraute
Personen beschrieben, die das betreffende Stück nicht kannten. Karin Beck
schildert ähnliche Ergebnisse und formuliert: »Häufig ist die Wahrnehmung von
musikalischen Gestalten unabhängig von der Takteinteilung« (Beck 1993, S. 463). Selbst
musikalisch versierte Personen nehmen also eher gestalthaft als rechnerisch-analytisch
wahr.
Falsch, anders oder womöglich besonders wertvoll?
Sowohl die figurale als auch die formal-metrische Ebene sind für Erleben und Ausführen
von Musik bedeutsam, sie stellen nur eine unterschiedliche Ausrichtung des Fokus dar:
»The two kinds of drawings might be imagined as different ways of mapping the same
›trip‹, each traveler attending to different features along the way.« (Bamberger 1980,
S. 181). Auch Upitis ist der Meinung, dass sich figurale und metrische Wahrnehmung
parallel entwickeln und findet dafür das Bild des ›Tandems‹ (Upitis 1987, S. 74). Wenn
Herbert Bruhn Bezug auf das Beispiel F. 2 (in traditionelle Notenschrift übersetzt
nimmt und formuliert: »Auf der figuralen Ebene wird zwar die Länge der Noten
dargestellt. Es wird aber ein typischer Fehler registriert: Zwischen den Phraseneinheiten
wird der letzte Schlag als kurz gezeichnet, obwohl die Zeitdauer bis zum nächsten Schlag
lang ist.« (Bruhn 2000, S. 237, Hervorhebung S. L.), ist der Interpretation im Sinne von
›fehlerhaft‹ entschieden entgegen zu treten. Die Kinder nehmen den Rhythmus durchaus
korrekt wahr, denn wie Bruhn selber zugeben muss, sprechen die Kinder auf Befragen
»von einer Lücke zwischen den Tönen, die den Ton aber nicht lang machen würde«
(ebd.). Wie oben geschildert beachten – bzw. verschriftlichen – die Kinder die
Aufeinanderfolge der Töne, dem System der rechnerischen Stimmigkeit wird keinerlei
Bedeutung zugemessen.