Ein Denken im Sinne von
falsch oder
richtig wäre für musikpädagogische Bezüge
fatal. Es existieren offensichtlich unterschiedliche Sichtweisen oder Erlebnisebenen
desselben Rhythmus. Gerade im Umgang mit Schülerinnen und Schülern sollten
Lehrkräfte offen für diese variierenden, im Zusammenhang mit Alter und Entwicklung
stehenden Perspektiven sein. Denn wie sollten sie den Lernenden sonst den Weg für ein
verändertes, erweitertes Verständnis bereiten können, wenn sie nicht an die Aspekte
anknüpfen, die von der Wahrnehmung der lernenden Person aktuell fokussiert werden.
Upitis empfiehlt als diagnostisches Mittel Imitations- oder Notationsaufgaben, um
Schülerinnen oder Schüler hinsichtlich ihrer Verarbeitungsebene einschätzen zu können.
Gleichzeitig fordert sie, dass der Lernzugang zum Thema Rhythmus sowohl von der
figuralen als auch von der formal-metrischen Ebene aus erfolgen sollte, nicht
einseitig.
Tatsächlich berücksichtigt das herkömmliche Notensystem zunächst einmal
ausschließlich metrische Elemente, figurale Gestaltung bedarf des Zusatzes von Bögen,
Atemzeichen, Artikulationsvorschriften oder anderer Gliederungshilfen. Dennoch hat die
motivische Gliederung, die angemessene Phrasierung für eine gelungene Interpretation
eine mindestens ebenso große Bedeutung wie die korrekte Dauer der Tonlängen. Wer
schon einmal musikalisch Ungeübte (Kinder, Jugendliche oder Erwachsene) erlebt hat,
weiß, dass Tondauern eines Musikstückes zwar korrekt wiedergeben, durch die Wahl
unglücklicher Atemstellen oder sonstige Phrasierung in ihrer Sinnhaftigkeit völlig
entstellt werden können. Figurale Wahrnehmung und Gestaltung muss genau so
Gegenstand musikpädagogischer Unterweisung sein wie – zu gegebener Zeit – die
Einführung in die Proportionalität der Dauern zueinander. Da die figurale, gestalthafte
Ebene auf weniger ausgereifte kognitive Strukturen zurückgreift, kann und muss sie in
der Vermittlung musikalischer Fertigkeiten früher im Zentrum der Vermittlung
stehen.
Figurale Verarbeitung als falsch anzusehen, wird dem Phänomen des musikalischen
Rhythmus nicht gerecht. Die motivische, gestaltbezogene Ebene ist Grundlage allen
musikalischen Erlebens und Ausgangspunkt gelungener Interpretation.
Grundschlag – Metrum – Rhythmus: Progression oder Simultanität?
Bruhn unternimmt den Versuch, die Entwicklung der Rhythmusverarbeitung in einen
sukzessiven Verlauf zu gliedern, der sich auf die Wahrnehmung von zunächst dem Puls
(im Sinne einer isochronen Ereignisfolge), dann dem Metrum (Strukturschema durch
Betonungssetzung) und zuletzt dem Rhythmus erstreckt (vgl. Bruhn 2000, S. 236). Diese
Reihenfolge meint er u. a. mit Bambergers und Upitis’ Untersuchungsergebnissen
belegen zu können. Bamberger und Upitis selber betonen allerdings, dass figurale
(motivbezogene) und formal-metrische Aspekte nicht als einander über- oder
untergeordnet aufgefasst werden sollen. Beide Ebenen sind