- 125 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Ein Denken im Sinne von falsch oder richtig wäre für musikpädagogische Bezüge fatal. Es existieren offensichtlich unterschiedliche Sichtweisen oder Erlebnisebenen desselben Rhythmus. Gerade im Umgang mit Schülerinnen und Schülern sollten Lehrkräfte offen für diese variierenden, im Zusammenhang mit Alter und Entwicklung stehenden Perspektiven sein. Denn wie sollten sie den Lernenden sonst den Weg für ein verändertes, erweitertes Verständnis bereiten können, wenn sie nicht an die Aspekte anknüpfen, die von der Wahrnehmung der lernenden Person aktuell fokussiert werden. Upitis empfiehlt als diagnostisches Mittel Imitations- oder Notationsaufgaben, um Schülerinnen oder Schüler hinsichtlich ihrer Verarbeitungsebene einschätzen zu können. Gleichzeitig fordert sie, dass der Lernzugang zum Thema Rhythmus sowohl von der figuralen als auch von der formal-metrischen Ebene aus erfolgen sollte, nicht einseitig.

Tatsächlich berücksichtigt das herkömmliche Notensystem zunächst einmal ausschließlich metrische Elemente, figurale Gestaltung bedarf des Zusatzes von Bögen, Atemzeichen, Artikulationsvorschriften oder anderer Gliederungshilfen. Dennoch hat die motivische Gliederung, die angemessene Phrasierung für eine gelungene Interpretation eine mindestens ebenso große Bedeutung wie die korrekte Dauer der Tonlängen. Wer schon einmal musikalisch Ungeübte (Kinder, Jugendliche oder Erwachsene) erlebt hat, weiß, dass Tondauern eines Musikstückes zwar korrekt wiedergeben, durch die Wahl unglücklicher Atemstellen oder sonstige Phrasierung in ihrer Sinnhaftigkeit völlig entstellt werden können. Figurale Wahrnehmung und Gestaltung muss genau so Gegenstand musikpädagogischer Unterweisung sein wie – zu gegebener Zeit – die Einführung in die Proportionalität der Dauern zueinander. Da die figurale, gestalthafte Ebene auf weniger ausgereifte kognitive Strukturen zurückgreift, kann und muss sie in der Vermittlung musikalischer Fertigkeiten früher im Zentrum der Vermittlung stehen.

Figurale Verarbeitung als falsch anzusehen, wird dem Phänomen des musikalischen Rhythmus nicht gerecht. Die motivische, gestaltbezogene Ebene ist Grundlage allen musikalischen Erlebens und Ausgangspunkt gelungener Interpretation.


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Grundschlag – Metrum – Rhythmus: Progression oder Simultanität?

Bruhn unternimmt den Versuch, die Entwicklung der Rhythmusverarbeitung in einen sukzessiven Verlauf zu gliedern, der sich auf die Wahrnehmung von zunächst dem Puls (im Sinne einer isochronen Ereignisfolge), dann dem Metrum (Strukturschema durch Betonungssetzung) und zuletzt dem Rhythmus erstreckt (vgl. Bruhn 2000, S. 236). Diese Reihenfolge meint er u. a. mit Bambergers und Upitis’ Untersuchungsergebnissen belegen zu können. Bamberger und Upitis selber betonen allerdings, dass figurale (motivbezogene) und formal-metrische Aspekte nicht als einander über- oder untergeordnet aufgefasst werden sollen. Beide Ebenen sind


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