- 70 -epOs Verlag Osnabrück - epOs-Music - Humor in der Musik - Musik in der Literatur 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (69)Nächste Seite (71) Letzte Seite (109)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

- 7 - Dieter Hildebrandt, Piano, piano!


Zum Beispiel bei der Epiphanie des Kinos: Ein Vierteljahrhundert lang diente es als Stimmungskanone, wenn es galt, Schiffbruch und Seelendrama, Verbrecherjagd und Tortenschlachten, Liebesschmacht und Goldrausch musikalisch zu kommentieren; als die Bilder laufen lernten, war das Klavier nicht nur Mitläufer, sondern fast ein Trainer. Und der Kinoklavierspieler hatte alles im Griff.


Zum Beispiel bei der Geburt des Entertainments aus dem Geist von Trial and Error: Das Klavier war der Laborant, der sich an der Züchtung von Ohrwürmern beteiligte. Der Pianist wurde zum Piano-Pounder, zum fest-, wenn auch schlecht-besoldeten Klimperer, der an der Tastatur wie an einem Fließband saß und den Kunden der neu aufkommenden Unterhaltungsindustrie die täglich frischen Hits (damit sie es werden konnten) vorzuspielen hatte. Die Tin Pan Alley in New York (mit ihren Hunderten von Klavierzellen) war im ersten Vierteljahrhundert so etwas wie eine clowneske Walhalla für den geschundenen Helden.

Aber früh schon wurde das Klavier auch geklont. Im gleichen Jahr 1904, als in Philadelphia eine Massenverbrennung von Klavieren, Flügeln samt Hockern und anderem Zubehör vonstatten ging - Protest der Instrumentenhändler gegen die Übersättigung des Marktes -, erfanden die Brüder Welte in Freiburg das Reproduktionsklavier. Es war die Weiterentwicklung des automatischen Klaviers, des Player Pianos, des Instruments ohne Spieler. So wie das Auto der Kutsche die Pferde ausspannte, so spannte der neue Erfindungsgeist dem Klavier den Menschen aus (wenn auch nur vorübergehend). Das Player Piano der ersten zwei Jahrzehnte, das einen ungeheuren Boom erfuhr, kehrte dann wieder als elektronisches Tasteninstrument, als Keyboard, Synthesizer, Disklavier, dieser Zombies aus dem Reich der Virtualität.

Nicht nur menschenfern wurde das Klavier - es mußte sich auch mancherlei Operationen gefallen lassen. Den Komponisten um 1920 wollte es nicht mehr als Spielgefährte taugen, sie fanden sein Tableau langweilig, seinen Klangvorrat aufgezehrt:


Erste Seite (1) Vorherige Seite (69)Nächste Seite (71) Letzte Seite (109)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 70 -epOs Verlag Osnabrück - epOs-Music - Humor in der Musik - Musik in der Literatur