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- 4 - Donna Leon: Venezianisches Finale


 oder gute Sänger; sie gehen hin, um ihre neue Garderobe auszuführen und von ihren Freunden gesehen zu werden, und diese Freunde sind aus genau dem gleichen Grunde dort. Sie könnten die Dorfkapelle aus dem kleinsten Kaff Siziliens in den Orchestergraben setzen, und aus dem Publikum würde keiner den Unterschied hören. Prächtige Kostüme und ein raffiniertes Bühnenbild garantieren den Erfolg, eine moderne Oper oder Sänger, die keine Italiener sind, den Reinfall.« Der Professor merkte, daß er anfing zu dozieren, senkte die Stimme und fügte hinzu: »Aber die Antwort auf Ihre Frage ist nein, ich bezweifle, daß viele Leute gemerkt haben, was da vorging.«

»Die anderen Kritiker?«

Wieder schnaubte der Professor verächtlich. »Außer Narciso von La Repubblica gibt es keinen Musiker unter ihnen. Manche gehen einfach in die Proben und schreiben danach ihre Kritiken. Manche können nicht einmal eine Partitur lesen. Nein, echte Urteilsfähigkeit gibt es da nicht.«

»Was war Ihrer Meinung nach der Grund für Maestro Wellauers Versagen, wenn das der richtige Ausdruck ist?«

»Da gibt es viele Möglichkeiten. Ein schlechter Tag. Er war immerhin ein alter Mann. Vielleicht hat er sich vor der Vorstellung über irgend etwas aufgeregt. Oder es waren, so lächerlich es klingen mag, nichts weiter als Verdauungsstörungen. Aber was es auch war, er hatte die Musik an dem Abend nicht im Griff. Sie ist ihm entglitten; das Orchester hat sich mehr oder weniger selbständig gemacht, und die Sänger versuchten dranzubleiben. Aber bei ihm fehlte weitgehend die Kontrolle.«

»Fällt Ihnen noch etwas ein, Professor?« »Meinen Sie zur Musik?«

»Dazu oder zu anderen Dingen.«

Rezzonico überlegte, wobei er diesmal die Finger auf seinem Schoß ineinander verschlang, und meinte schließlich:

»Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig. Für mich selbst klingt es merkwürdig, weil ich eigentlich nicht weiß, warum ich es sage oder glaube. Aber meinem Eindruck nach hat er es gewußt.«

»Wie bitte?«

»Wellauer, ich glaube, er wußte es selbst.«

»Das mit dem Orchester? Was da vor sich ging?« »Ja.«

»Warum sagen Sie das, Professor?«

»Es war nach der Szene im zweiten Akt, in der Germont Violetta bittet, Alfredo freizugeben.« Er sah Brunetti an, um zu sehen, ob er die Handlung der Oper kannte. Brunetti nickte, und der Professor fuhr fort: »Es ist eine Szene, nach der es immer viel Applaus gibt, besonders, wenn die Sänger so gut sind wie Dardi und Petrelli. Sie waren es, und so gab es langen Applaus. Währenddessen habe ich den Maestro beobachtet. Er legte den Stab aufs Pult, und ich hatte das seltsame Gefühl, daß er gleich gehen würde, einfach vom Podium steigen und gehen. Entweder habe ich es wirklich gesehen oder es mir eingebildet, aber er schien es gerade tun zu wollen, als der Applaus aufhörte und die ersten Violinen ihre Bogen hoben. Er sah sie, nickte ihnen zu und nahm den Stab auf. Und die Oper ging weiter, aber ich habe immer noch das komische Gefühl, wenn er ihre Bewegung nicht gesehen hätte, wäre er einfach gegangen.«

»Hat noch jemand das beobachtet?«


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