- 100 -epOs Verlag Osnabrück - epOs-Music - Humor in der Musik - Musik in der Literatur 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (99)Nächste Seite (101) Letzte Seite (109)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

- 9 - aus: Batya Gur, Das Lied der Könige


»Na, was das beweisen soll? «

»Sie haben sich ständig selbst bestohlen, haben sich selbst zitiert. Vivaldi war schon zu Lebzeiten in ganz Europa berühmt. Kein Zeitgenosse hätte es gewagt, etwas aus dem Gloria von Vivaldi für ein anderes Stück zu verwenden. Nur der Komponist selbst, wie Bach es zu tun pflegte, bei dem Teile seiner Kantaten einen Weg fanden in seine Hohe Messe oder in die Matthäus-Passion. Solche Dinge.«

»Was ist los?« fragte Michael, als Isi Maschiach blätterte, innehielt, plötzlich lächelte, aufgeregt den Kopf schüttelte und murmelte: »Wie schön, sehen Sie nur, wie schön, wie konnte er es mir vorenthalten... Ich sehe hier, hier ist ein Agnus Dei«, wieder wischte er sein Gesicht und atmete schnell, »es ist auf sehr aufregende Weise komponiert. Ich verstehe genau, was er hier macht. Wenn die Begleitung in einem Siciliano-Rhythmus ist, das ist der Sechsachtelrhythmus mit betontem erstem Schlag. Sie kennen das Siciliano von... sagen wir, von Fauré?«

Michael bewegte den Kopf in einer undeutlichen Bewegung.

»Die Streicher spielen alle diesen Rhythmus, und der Chor kommt mit langen Noten dazu. Und ich kann genau sehen... Ich kann mir genau vorstellen, daß das... Das muß ganz außerordentlich sein. So schön... Aber hier«, sagte er, als er zum letzten Heft kam, »wird es in der Mitte unterbrochen. Der Rest ist nicht da.«

»Wie konnte diese Handschrift nach Holland gelangen?« zweifelte Balilati. »Sie haben gesagt, er lebte in Italien.«

»Vivaldi ist sein ganzes Leben lang umhergezogen. Er reiste durch ganz Italien, aber er unternahm auch Auslandsreisen. 1740 war er in Dresden, und es ist bekannt, daß er 1738 in den Niederlanden war. Er war schon damals sehr berühmt. Und sogar Johann Sebastian Bach selbst und Carl Philipp Emanuel Bach bearbeiteten Stücke von ihm... Und das hier«, er zeigte auf die Hefte, »da bin ich mir sicher, ging von Hand zu Hand. Ich versuche, mich zu erinnern, denn ich habe gelesen... Es gibt eine Dokumentation über die Aufführung eines Stückes, das es hätte sein können. Es gibt eine Dokumentation über ein Stück, das 1722 aufgeführt wurde oder 1728. Es wurde nie gefunden. Es ist eines der Rätsel. Nirgendwo steht etwas über ein Requiem.«

»Sie kennen sich wirklich gut damit aus«, sagte Balilati hinter Michaels Schulter mit einem Mißmut, der einen Teil Respekt enthielt.

»Vivaldi? Ich bin ein Kenner von Vivaldi«, sagte Isi Maschiach verbittert. »Deshalb verstehe ich nicht, wie Gabi... Mit allem, was Vivaldi betraf, kam er... Ich weiß alles, was über ihn bekannt ist. Jedes Jahr, jeder Streit, jede Frau, die er hatte...« Seine Unterlippe bebte, und er rang die Hände. »Ich kann es nicht begreifen. Und ich dachte, er hat jemand anderen. Vielleicht, als ich ihn verdächtigte... als ich böse auf ihn war, war er hiermit beschäftigt.«

Für einen Moment schwieg er und schnappte nach Luft.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (99)Nächste Seite (101) Letzte Seite (109)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 100 -epOs Verlag Osnabrück - epOs-Music - Humor in der Musik - Musik in der Literatur