- 76 -Wollermann, Tobias: Musik und Medium 
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oder gar Schule war und schon 1968 durch einen Streit zwischen Godard, der sich für die Studentenrevolte engagierte und Truffaut, der immer mehr zum Mainstream tendierte, beendet wurde, verdankt das Kino ihr doch einige vor allem inhaltliche und künstlerische Neuerungen.

In England wurde die Bewegung ›Free Cinema‹ sogar vom BFI (British Film Institute) unterstützt. Neben jungen englischen Nachwuchsregisseuren wie z. B. Tony Richardson, Karl Reisz oder Lindsay Anderson, wurden auch unbekanntere Filme französischer, amerikanischer oder polnischer Herkunft unterstützt. So u. a. auch die des Polen Roman Polanski. Zunächst wandten sich die jungen Regisseure halbdokumentarischen Kurzfilmen zu und thematisierten vor allem den Alltag der Arbeiterklasse in ihrem eigenen Land. Von Vorteil für solche Projekte war hier sicherlich der Wechsel von der eher schwerfälligeren 35-mm-Apparatur zur sehr flexibel einsetzbaren 16-mm-Kamera. Diese sozialdokumentarischen Filme wurden zwischen 1956 und 1959 in unterschiedlichen Zusammenstellungen im Londoner National Film Theater vorgestellt. Als man später dazu überging, auch Spielfilme zu produzieren,94

94Das bekannteste Beispiel dürfte Tony Richardsons Film ›Tom Jones – Zwischen Bett und Galgen‹ (1962) nach einem Roman von Henry Fielding aus dem 18. Jahrhundert sein.
verschwammen allerdings die Grenzen zwischen ›Free Cinema‹ und kommerziellen Spielfilmproduktionen wieder ziemlich schnell.

In den USA fanden die interessantesten Neuerungen im ›Underground‹ statt, der von einigen New Yorker Regisseuren, wie z. B. Kenneth Anger, Ron Rice oder James und John Whitney ausging. ›Overground‹ produzierte nur der Pop-art-Künstler Andy Warhol eine Reihe kommerziell erfolgreicher ›Underground‹-Filme. Viele der Filme durften öffentlich nicht gezeigt werden, da sie zu sozialkritisch und oft auch sexuell zu freizügig waren.95

95So z. B. auch Jack Smith’ ›Flaming creatures‹ (1963), in dem eine Orgie mit einigen Frauen und Transvestiten in einem Manhattener Kaufhaus gezeigt wird.
Entschieden wurde mit Zensur, Polizei-Razzien oder Verunglimpflichung durch die Presse gegen die ›Underground‹-Filmer vorgegangen. Dazu Andrea Gronemeyer:96
96[Gronemeyer(1998), S. 137].

»Sozialkritischer Realismus, die drastische Darstellung von Sexualität und der Nihilismus abstrakter ›Anti-Action‹ – alle Erscheinungsformen des Underground-Kinos zeigten Seiten amerikanischer Wirklichkeit, die Hollywood konsequent ignoriert hatte. Die offene Feindseligkeit gegenüber der Underground-Bewegung belegt, wie sehr das Anti-Kino mit der wirklichkeitsfernen Ästhetik der Traumfabrik zugleich auch die Grundüberzeugungen Amerikas angriff: den unerschütterlichen, tief in der Gesellschaft der USA verwurzelten Glauben an den ›amerikanischen Traum‹.«

Auch in Deutschland unterstützte der Staat finanziell durch Steuernachlässe, Subventionen und günstigen Krediten die in den sechziger Jahren am Boden liegende Filmindustrie. Angeregt durch die ›Nouvelle Vage‹ in Frankreich unterzeichneten 26 junge Regisseure auf den Oberhausener Kurzfilmtagen das so genannte ›Oberhausener Manifest‹. Die Umsetzung der im Manifest formulierten Ziele sollte durch das 1965 gegründete ›Kuratorium Junger Deutscher Film‹ erfolgen. Schon wenige Jahre später verzeichnete man die ersten internationalen Erfolge.97

97Dazu gehörten u. a. ›Der junge Törless‹ (1965, R.: Volker Schlöndorff), ›Schonzeit für Füchse‹ (1965/66, R.: Peter Schamonis), ›Es‹ (1966, R.: Peter Schamonis) sowie ›Abschied von gestern‹ (1966, R.: Alexander Kluge).
Von der Thematik her knüpfte man in Deutschland an England und Frankreich an und setzte

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