- 109 -Wollermann, Tobias: Musik und Medium 
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blickte, fand eine melancholische Prosa, einen abgehetzten Elektroniktechniker, sieben von Arbeitern ständig geheizte Öfen, welche die Temperatur von 16 Grad Réaumur hervorbringen und unterhalten mußten, und dazu die riesigen von der blauen Grotte verschlungenen Summen […]«. Um die großen Gefühle entstehen zu lassen, musste damals wie heute ein enormer technischer Aufwand betrieben werden. Alles in allem stellt die Oper ein hochartifizielles, multimediales Geschehen dar, welches gerade um seiner Künstlichkeit willen mit allen Sinnen aufgesogen wird.

Multimedial in diesem Sinne sind natürlich auch Film und Fernsehen (vgl. dazu Abschnitt 5.2 und 5.3). Trotz der Einheit von Text, Bild und Ton hat sich der Begriff ›Multimedia‹ aber erst im Computerzeitalter durchgesetzt. Nach Faulstich21

21[Faulstich(1995), S. 38].
definiert sich der Begriff ›Multimedia‹ »durch zweierlei: erstens durch die Verbindung von Text, Grafik, Ton, Bild, Animation […] als neuem Informationsangebot, zweitens durch die Dialogstruktur, die dem Benutzer die Interaktion erlaubt, die aktive Teilnahme.«

Aktiv teilnehmen kann ein Besucher einer (traditionellen) Oper zwar noch nicht, aber die Verbindung der unterschiedlichen Elemente zu einem neuen Informationsangebot ist durchaus vorhanden. Vernachlässigt man den zweiten ›interaktiv dialogischen Aspekt‹ Faulstichs, so ist jede Oper als multimediales, im Adornoschen Sinne ›verfranstes‹ Medium zu verstehen. Faulstich definiert ein Vorläufermedium22

22Er nimmt hierbei Bezug auf Flugsimulatoren und Animationen Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre.
des Computers wie folgt:23
23[Faulstich(1995), S. 39].
»Virtuelle Realität, Simulation von Wirklichkeit, Auflösung der Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion (Hypermedia)«. Auch in diesem Sinne ist die Oper ein direkter Vorläufer von Multimedia:24
24[Schläbitz(2004), S. 292].
»Wie anders denn als Vorläufer von Multimedia ist die Oper zu denken, die mit ihren spezifischen ›special effects‹ arbeitet, wenn mit dem Opernhaus eigens ein Ort zum persönlichen Einbinden ins Geschehen geschaffen wird, der die Außenwelt vergessen lässt.«

Schläbitz versteht das multimediale Phänomen ›Oper‹ auch als Vorläufer der multimedialen Kunst im Internet:25

25[Schläbitz(2004), S. 294].
»So erscheint es heute auch nur logisch, wenn die multimediale Oper – abgelöst von allen natürlich scheinenden Prozessen – der multimedialen Kunst im Internet den Weg weist. […] Die Geschichte der Oper ist von Anfang an von Simulationsversuchen nur so durchdrungen. Sie suchte umfassend zu simulieren und eine eigene Welt zu verwirklichen (dissimulieren). Die bedingte Welt setzt diesen Simulationsbemühungen ihre materiellen Grenzen entgegen. Die Bemühungen der Oper zu gestalten, was nicht ist, und das ›Nicht‹ als das der Welt der Dinge Nichtähnliche so wahrnehmen zu lassen, als ob es doch ist, lesen sich in der Nachbetrachtung wie ein Versprechen, das mit dem unbedingten Internet und den grenzenlos scheinenden Welten seine eigentliche Erfüllung findet. Dies gilt umso mehr, sobald die Flächenwelt von Monitoren verlassen wird und Kalkulationswelten in den Raum hinaustreten.«


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