trüge die Schicht ein Vielfaches
seines Gewichts, jedoch bricht das Eis, und das Kind ertrinkt. Visarius stellt
fest:
»So schlüssig, so lakonisch, so folgerichtig Kie lowskis Dekalog-Filme
erzählt sind, so wenig Raum sie den Alternativen der Phantasie lassen, so
sehr bewegen sie sich zugleich auf dem brüchigen Eis all jener unabsehbaren
Möglichkeiten, die unser Handeln jedesmal eröffnet. Der Dekalog beschwört
nicht die Leichtigkeit des Seins, sondern das Gewicht des Tuns.«13
Kie lowski selber gibt keine vereinfachten, moralischen Antworten auf die im
Film aufgeworfenen Fragen oder Probleme. Es geht um Menschen, die sich in
gewissen Bereichen ihres Lebens einsam und unsicher fühlen, um Personen,
die sich nach Fröhlichkeit und nach einem Zugehörigkeitsgefühl sehnen. Das
Gefühl, das Bestmögliche getan zu haben, erreichen sie allerdings nicht. Oft
scheitern sie oder müssen, um erfolgreich zu sein, einen hohen, schmerzhaften Preis
bezahlen.
»Decalogue is an attempt to narrate ten stories about ten or twenty individuals,
who – caught in a struggle, precisely because of these and not other circumstances,
circumstances which are fictitious but which could occur in every life –
suddenly realize that they’re going round and round in circles, that they’re
not achieving what they want.«14
Wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch gezeigt wird, steht der Dekalog in engem Bezug
zur Trilogie. In vieler Hinsicht werden hier schon gewisse Themen wie z.B. die
Bedeutung von Einsamkeit, nicht funktionierende Familien, die Wichtigkeit der Liebe
und die Art und Weise, wie Kie lowski unerwartete Beziehungen zwischen seinen
Charakteren schafft, antizipiert. Im Nachhinein betrachtet, stellt schon die erste
Einstellung des Dekalog 1 eine Beziehung zwischen den einzelnen Filmen her. Die
Kamera zeigt eine triste graue Warschauer Wohnblocksiedlung und fährt an einer
Fensterfront hoch. Hinter jedem Fenster dieser unendlich groß erscheinenden
Trabantenstadt verbirgt sich ein privates, individuelles Schicksal, von denen uns Kie lowski einige zeigt. Er betrachtet sie allerdings nicht einzeln, sondern schafft, durch die
Personen, die sich immer wieder über den Weg laufen, eine Art Mikrokosmos. Einer
Person kommt dabei eine ganz besondere Rolle zu. Es ist eine Person, die im Drehbuch
immer als »young man« bezeichnet wird. Diese Person taucht, außer in Dekalog 7 und
Dekalog 10, in jedem Film auf. »I don’t know who he is; just a guy who comes and
watches. He watches us, our lives. He’s not very pleased with us. He comes watches and
walks on . . . He doesn’t have any influence on what’s happening, but he’s a sort
of sign or warning to those he watches, if they notice him . . . the character
whom some called the angel . . . «, wird Kie lowski in (Stok, 1993, S. 158)
wiedergegeben.
Zu Kie lowskis Film Die zwei Leben der Veronika schreibt der Co-Autor Krzysztof
Piesiewicz:
»In Die zwei Leben der Veronika (La Double vie de Véronique) schweben
wir ein wenig über der Realtät. Wir wollten in Richtung Metaphysik gehen.
Vielleicht haben wir unser Ziel nicht erreicht. Die zwei Leben der Veronika
ist ein Film über die Nostalgie und die Nostalgie findet sich in jedem von
uns. Das alles hat mit einer verloren gegangenen Welt zu tun, und unserer
Nostalgie dafür.«15
15
Piesiewicz, zit. nach dem Presseheft zu Weiss; herausgegeben vom Concorde Filmverleih,
München
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