Trotzdem ist es nicht von der Hand zu weisen, dass auch in späteren Filmen wie
z.B. im Dekalog politische oder gesellschaftliche Motive – also Momente der
»äußeren Welt« – weiterhin, wenn auch nur nebensächlich, vorhanden sind. Dazu
Geoff Andrew: »Keeping the political realities of contemporary Polish life in the
background, the aim was to focus on the ›internal lifes‹ of the various protagonists
–. . . «7 . Zu
dem Film Ohne Ende schreibt Leonard Quart: »Krzysztof Kie lowski’s No End is a sombre,
spare film about the difficulty of moral surviving in a post-Solidarity Poland under martial
law.«8
Auch in Drei Farben: Weiss, dessen zweiter Teil in Polen spielt, sind diese Motive
vorhanden. »Als wir das Buch zu Weiss schrieben, dachten wir uns, dass es vielleicht an
der Zeit wäre, vom Wahnsinn unserer polnischen Realität zu erzählen«, zitiert
Franz Ulrich den Co-Autor Piesiewicz in (Ulrich, 1994, S. 32). Umgekehrt ist
schon in Filmen vor 1981 ein verstärktes Interesse Kie lowskis an der »inneren
Welt« seiner Protagonisten zu finden, so z.B. in Talking Heads oder in Vom
Standpunkt eines Nachtwächters, dessen Titel dieses Interesse bereits zum Ausdruck
bringt.
Im Film Ohne Ende erweitert Kie lowski die Handlung um eine transzendentale,
metaphysische Ebene: Die Witwe eines Rechtsanwalts, der, kurz bevor er stirbt, gerade
die Verteidigung eines dem Kriegsrecht zum Opfer gefallenen jungen Arbeiters
vorbereitet, wird schrittweise in den Kampf, diesen Menschen vor der Willkür
der Autoritäten zu retten, verwickelt. Ihre Bemühungen resultieren allerdings
nicht aus wachsender politischer Verpflichtung. Vielmehr wird sie dazu durch
den Geist ihres verstorbenen Mannes, der nur für das Publikum sichtbar über
ihrer Einsamkeit wacht, angespornt. Unfähig ihr Leid zu (er-)tragen, begeht
die Witwe am Ende des Films Selbstmord, um bei ihrem geliebten Mann zu
sein.9
9
In Zusammenhang mit diesem Film berichtet Andrew in (Andrew, 1998, S. 16):
». . . , the director was equally fascinated by the metaphysical and emotional aspects of
the story.«
|
So offensichtlich personifiziert treten übernatürliche Phänomene in den weiteren Filmen
Kie lowskis nicht wieder auf, jedoch ist die transzendentale Ebene in allen folgenden
Filmen latent vorhanden. So merkt z.B. Andreas Kilb zur Figur des Puppenspielers in
Die zwei Leben der Veronika ironisch an: »Daß er die Metaphysik bemühen
muß, um jene schlichte Botschaft zu verkünden, ist der eigentliche Witz dieses
Films«10,
und zur Figur des Richters in Rot schreibt Josef Schnelle: »Der alte Richter, der der Welt ihr
Leid ablauscht, und es damit auf sich nimmt, das ist wieder eine moderne Erlöserfigur, durch
deren Augen wir unsere Welt neu sehen lernen können – eine typische Kie lowski-Figur,
. . . «11
Im Dekalog geht es um die Bewohner eines Warschauer Wohnblocks, die alltägliche
Entscheidungen12
12
»It has to do with concrete everyday decissions«, berichtet Kie lowski in
(Stok, 1993, S. 149).
|
treffen müssen, da sie in verschiedene ethische oder emotionale Konflikte verwickelt sind,
die auf diese oder jene Art und Weise in Verbindung mit den 10 Geboten stehen. Die
Folgen dieser Entscheidungen entziehen sich jeglicher Einschätzbarkeit oder Berechnung.
So berechnen Vater und Sohn im Dekalog 1 die Dicke des Eises, auf dem das Kind
Schlittschuh laufen will. Nach ihren Berechnungen
|