Die zwei Leben der Veronika handelt von den merkwürdigen, mysteriösen Verbindungen
der Leben zweier physisch identischer junger Frauen, die zur selben Zeit am selben
Ort geboren wurden. Die polnische Weronika sagt zu ihrem Vater: »Ich habe
ein komisches Gefühl. Das Gefühl, nicht allein zu sein. Ich bin nicht allein auf
dieser Welt«, analog dazu gesteht die französische Véronique ihrem Liebhaber
am Schluss des Films: »Ich hatte immer den Eindruck, gleichzeitig hier und
anderswo zu sein. Ich weiß immer genau, was ich tun muss.« Beide haben eine
Leidenschaft: Singen, beide haben eine Krankheit, einen Herzfehler. Weronika bricht bei
einem Konzert, an dem sie als Solo-Sopranistin beteiligt ist, zusammen und
stirbt. Weronika opfert sich für Véronique: Die eine stirbt, damit die andere am
Leben bleibt. »Mystisch befrachtet er das romantische Doppelgängermotiv, wenn
die eine zugunsten der anderen geopfert wird«, schreibt Lenz in Lenz (1991).
Indem Véronique auf die Solistenkarriere verzichtet, lernt sie die Liebe und den
Imaginationshorizont des Puppenspielers Alexandre kennen. Die Liebesgeschichte mit
dem Puppenspieler: eigentlich eine Geschichte in der Geschichte, oder besser: ein
Märchen im Märchen. Aber doch ist es unmerklich, nicht sehr stringent und bisweilen
verheddert, mit dem Motiv der duplizierten Seele verknüpft: Am Ende trifft
Véronique in der Werkstatt des Puppenspielers auf ihr Ebenbild – in zweifacher
Ausführung.
»It was not only in terms of its subject matter, however, that Véronique
brought Kie lowski closer to the triumph of the Three Colours films, but it
was also in terms of style[...] Although The Double Life of Véronique was
in certain respects Kie lowski’s most enigmatic film, it did pave the way
for the rather more accessible and, arguably, more assured study of abstract,
seemingly inexplicable forces at work in the everyday world that was the
Three Colours trilogy.«16
Kie lowskis Filme wurden vom einfach beobachtenden Realismus der Dokumentar- und
frühen Spielfilme ständig komplexer, was Erzähl- und Ausdrucksmöglichkeiten angeht.
»Stylistically and thematically, Véronique aligns itself with the European art film – . . . «,
schreibt Peter Ruppert in (Ruppert, 1992, S. 65). Kie lowski gestaltete die
Erzählstruktur in Véronique immer elliptischer, geheimnisvolle tiefgehende Bedeutungen
zwischen Charakteren und Objekten wurden geschaffen. Stilistisch gesehen ist der
Film kunstvoller geworden, indem eine größere Anzahl verschiedener Farben,
Filter, Kameraeinstellungen und Blickwinkel benutzt wurde. Auch der Musik
kommt, nicht nur in der Wahl der Berufe der beiden Protagonisten, eine größere
Bedeutung zu: »We thought a lot about the music«, erzählte Kie lowski Danusia
Stok.17
Zu Recht schreibt Heike Kühn in Kühn (1991) von »Klangfolgen von meditativer
Entrückung und dissonanter Lebensgier«, von einer Musik, die »sich in diesem Film als
anima mundi, als Weltseele« behauptet. Dieser Eindruck entsteht nicht zuletzt
aufgrund der Textwahl Preisners, der der Musik ein Gedicht von Dante zu
Grunde legte, obwohl dieses inhaltlich nichts mit dem Thema des Films zu
tun hat. Für Preisner war es wichtig, eine Übersetzung des altitalienischen
Gedichtes zu haben. »And what those words meant, what the text was about,
probably inspired him to write the music«, berichtete Kie lowski Danusia
Stok in (Stok, 1993, S. 179).
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