- 11 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski 
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dass seine Dokumentarfilme keine Untersuchungen von unterdrückenden politischen Institutionen sein sollten. Vielmehr wollte er aus einem humanistischen Blickwinkel individuelle Portraits von Menschen drehen.

In der Tat gibt es einiges, was diese Behauptung rechtfertigt. Während Vom Standpunkt eines Nachtwächters die Darstellung von dessen konservativer Haltung gegenüber Verbrechen, Bestrafung und Autorität klare soziale, politische und ethische Bedeutung trägt, ist der Film auf der anderen Seite eine überraschend sympathische Charakter-Studie einer eher traurigen und unausgefüllten Person. Ähnlich verhält es sich mit dem Film Talking heads, in dem 79 Polen gefragt werden, wann sie geboren wurden, was sie tun und was sie am liebsten mögen. Einerseits bietet der Film eine Einsicht in die Gesellschaft des zeitgemäßen Polens, andererseits, indem er in schneller linearer Art und Weise von der jüngsten bis zur ältesten Person verläuft, einen universell zutreffenden Einblick in die emotionalen, physischen und psychologischen Aspekte des Alterns. Es ist offensichtlich, dass sich Kies lowskis Interesse an der Politik immer aus seiner Faszination für die Auswirkungen dieser auf das Individuum herleiten lässt.

1976/77, als sich der Konflikt zwischen Staat und Volk immer mehr zuspitzte, entstand eine neue Bewegung unter den Filmemachern, das ›Kino der moralischen Unruhe‹, in dessen Zentrum Wajda, Zanussi, Piwowarski, Holland und auch Kies lowski standen. Ziel der Bewegung war es, Missstände in der Gesellschaft aufzuzeigen. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf dem Verfall der moralischen Werte und der Ethik. »Es wurde aufgezeigt, wie mit der Manipulation der Massen durch staatliche Ideologie die Moral, die Ethik der Menschen untergraben wurde.«14

14 (Erbstein1997, S. 12)
Von einem merkwürdigen Paradox berichtet der Filmkritiker und Drehbuchautor T. Toeplitz: »Alle Filme die in den 60’er und 70’er Jahren im Rahmen der ›polnischen Schule‹ oder des sogenannten ›Kinos der moralischen Unruhe‹ entstanden, entstanden ja mit staatlichen Mitteln, die von den politischen Organen kontrolliert wurden. Und hier fand die ganze Zeit über ein merkwürdiges Spiel statt: Heute präsentiert man diese Filme als diejenigen, die das System in Frage stellten und auch oppositionelle Autoritäten aufbauten – etwa die von Wajda oder Zanussi. Es stimmt, nur zur gleichen Zeit wurden diese Filme nicht etwa von einem privaten Produzenten oder irgendwelchen Untergrundkräften finanziert, akzeptiert und realisiert, sondern von dem Staat, gegen den sie gedreht wurden. Dieses Paradox birgt die ganze Wahrheit über die polnische Kinematographie jener Zeit; über all das, was damals geschah. Gewissermaßen pirschten sich beide Seiten aneinander an. Dem Staat war bewusst, dass er Werke produzierte, die ihm gegenüber kritisch waren. Doch er sagte: ›Gut, aber nur bis zu einer gewissen Grenze‹, oder ›Das muss irgendwie verpackt werden, das muss irgendwie aus der Sicht der staatlichen Politik begründet werden.‹ Die Regisseure wiederum wussten: ›Gut, ich will sie ein bisschen ärgern, aber ich weiß, dass ich das nur bis zu einer gewissen Grenze tun darf, damit ich das Geld für die Produktion dieses Films bekomme.‹ Eigentlich spielte man die ganze Zeit über solch ein Spiel, bei dem sich beide Seiten einer gewissen Undeutlichkeit und im Grunde eines gewissen Einvernehmens bewusst waren.«15
15 Entnommen aus der Dokumentation Die Macht der Symbole – Polnisches Kino zwischen Kunst und Politik (Regie: Heike Wilke). Vgl. S. 280


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