- 87 -Wolff, Harry: Musikmarkt und Medien unter dem Aspekt des technologischen Wandels  
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werden bei einem Teil der Videos zur Erzeugung von Bedeutung eingesetzt. Die verwendete Technik kann maßgeblich zum Erfolg eines Clips beitragen. »Ein Jahrzehnt später zeigte uns Michael Jacksons ›Black or White‹-Video aus dem Jahre 1992 eine neue Computeranimationstechnik – Morphing – und erzeugte bei dem gesellschaftlich bewußtem MTV-Publikum eine Reihe neuer Fragen. Durch die nahtlose Verwandlung eines Gesichts in ein anderes bringen uns Jacksons Animateure die Erfahrung einer Welt nahe, in der die Linien zwischen Rassen – und sogar zwischen den Geschlechtern – keine Bedeutung haben. Wiederum erzeugt die Videoanimatiostechnik selbst Bedeutung« (ebd., 134).

Die Welt von MTV ist nicht an Natur- oder vom Menschen geschaffene Gesetze wie die anerkannte Realität gebunden, was die besten Videos nach Meinung des Autors ausnutzen. Rock-Videos seien von ihrem Wesen her weder real noch existierten sie in einer bestimmten Zeit. Sänger bewegen ihre Lippen zu Songs, die bereits Monate zuvor aufgenommen wurden, tauchen in einer Textpassage auf drei verschiedenen Kontinenten auf; die Szenen sind diskontinuierlich geschnitten. MTV wurde nach Rushkoff als Vermittler diskontinuierlicher Erfahrungen entwickelt. Im Gegensatz zu traditionellen Programmen, in denen den einzelnen Sendungen eine bestimmte normierte Dauer zugeordnet werde, weise MTV nahezu kein Schema auf. Zwar gebe es einige regelmäßige Programmabläufe, ansonsten aber bestehe das Programm größtenteils aus »Konservenmusik« – »ein ständiger Musik- und Bildfluß auf Knopfdruck, ähnlich wie die zeitlose Flughafen- oder Fahrstuhlmusik« (ebd., 135). Die MTV-Macher stellten Rushkoff zufolge diese Qualität anfänglich heraus, indem sie in einem der ersten Werbeclips fragten »Was wäre, wenn die Zeit nie erfunden worden wäre?« Die schnellen Schnittfolgen der MTV-Videos erlaubten dem Zuschauer nicht den Aufbau einer kontinuierliche Zeiterfahrung; für jene Zuschauer, die MTV nicht kennen, seien die Clips eine Ansammlung schneller zufälliger Bilder. Dieselben diskontinuierlichen Bilderfolgen sind Rushkoff zufolge jedoch für die Zuschauer, die mit dem Medium vertraut sind, durchaus verständlich. »In der Zeit vor MTV betrug die kürzeste Szenendauer, die Filmemachern erlaubt schien, zwei Sekunden. Man nahm an, daß ein Publikum außerstande sei, noch kürzere Szenen als sinnvoll wahrzunehmen. Heutige Videos verwenden regelmäßig Schnitte, die eine Drittelsekunde kurz sind, oder sogar ›Blitzschnitte‹ mit Stücken, die eine Zehntelsekunde oder weniger dauern. MTV kann als eine Art Bildungsfernsehen betrachtet werden, insofern es die Augen und Hirne trainiert, immer schneller immer mehr Bilder zu verarbeiten« (ebd., 136).

Für die Tonträgerfirmen bedeuten schnellere Schnitte nach Rushkoff nicht zuletzt eine Maximierung der Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu erlangen. Die Machart dieser Videoclips erfordere auch insofern ein Engagement des Publikums, als dieses aktive Verbindungen zwischen den Bildfolgen herstellen muß, um die Bedeutung der Videos zu verstehen (vgl. ebd.). Ohne diese Beteiligung der Zuschauer, die die Teilbilder zu einem Ganzen zusammensetzen, würde das Musikvideo eine Folge unverbundener Momentaufnahmen sein, die keinen Sinn ergäbe. Sei der Zuschauer schließlich in der Lage, Verbindungslinien zwischen den Einzelbildern zu ziehen, könnten die Videoproduzenten die Geschwindigkeit der Schnittfolgen erhöhen.


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