- 17 -Wolff, Harry: Musikmarkt und Medien unter dem Aspekt des technologischen Wandels  
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die Frage, ob die künstlerische Leistung eigentlich beim jeweiligen Komponisten/Anwender oder beim Programmierer liegt.

Neuartige Klaviere, die neben der Erzeugung des Klanges auf mechanischem Wege das Spiel des Pianisten per digitalem Abtastsystem speichern können, welches wiederum durch die Hilfe eingebauter Elektromechanik und automatischem Anschlag in identischer Form mit dynamischem Hammeranschlag jederzeit abrufbar ist, eröffnen neue Möglichkeiten der Einspielungspraxis bei Studioaufnahmen, gerade auch für klassische Klavierproduktionen. Jerrentrup führt dies beispielhaft an einem Klavierstück Beethovens aus:

»Beethovens Appassionata wird sorgfältig und langsam auf dem Klavier eingespielt und im Sequenzer gespeichert, auf daß alle gestalterischen Feinheiten möglichst genau eingebracht werden. Zur Aufnahme vor dem Mikrophon läßt man dann die im Sequenzer gespeicherte Musik, die eventuell noch per Editierung am Bildschirm des angeschlossenen Computersystems verbessert wurde, im gewünschten schnelleren Tempo ablaufen. Nach einer solchen Überarbeitung dürfte sie ein Bild von bestechender Perfektion abgeben« (ebd., 33).

Auch bei Live-Auftritten werden seit 1983 zunehmend MIDI-Recording-Programme bzw. Hardware-Sequenzer eingesetzt, wenn auch nur in bestimmten Musikbereichen. Das Publikum kann dann meist nicht mehr unterscheiden, welche Klänge vom Sequenzer – also fehlerfrei vorproduziert – kommen und was tatsächlich von den Akteuren auf der Bühne ›live‹ gespielt wird. Erstaunliches oder gar Unmögliches wird dann zum Teil dem Können der Musiker zugeschrieben, kommt aber in Wirklichkeit vom Speichermedium.

»Die Musiker, die gemeinsam auf der Bühne stehen, sind dann genau genommen nur noch die Begleiter des Computers, er gibt die Rhythmen, die Melodielinien und das Tempo als ›master‹ vor, die Menschen sind die slaves‹, wie es etwas brutal in der Fachsprache heißt« (Knolle 1993, 401).

Der Vorteil der Technik besteht in einer auch unter schwierigen Live-Bedingungen identisch zu reproduzierenden Musikbasis, die Qualität bleibt auf dem gleichen Niveau. Andererseits gerät die Spontaneität und die Interaktion zwischen den Musikern und dem Publikum ins Hintertreffen oder bleibt gar ganz auf der Strecke.

Allerdings bewirkt die Perfektion von unter Hightech-Bedingungen produzierter Musik und die mit ihr verknüpfte Sterilität in den letzten Jahren auch eine gegenläufige Tendenz innerhalb der Rock- und Popmusik auf dem Musikmarkt: die verstärkte Hinwendung zum »Handgemachten«. Stichworte sind hier unter anderem die »Unplugged-Welle«, der Neofolk sowie die Entstehung des Musikstils »Grunge«. Ähnliches läßt sich am Musikinstrumentenmarkt beobachten, wo z. B. die »veraltete« Röhrentechnologie auf dem Sektor der Gitarrenverstärker die »moderne« Transistortechnik wieder überflügelt hat. Überdies werden auch weiterhin Jazz-Rock-Folk- und E-Musik-Konzerte aufgeführt, die sich natürlich nicht des Sequenzers bedienen. Der Kampf zwischen traditioneller Musizierweise und moderner Technologie scheint bisher nicht als entweder-oder entschieden zu werden – aber vielleicht wird Musik in Zukunft grundsätzlich in diese beiden Gruppen unterteilt werden (vgl. auch Jerrentrup 1993, 22ff.).


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