- 15 -Wolff, Harry: Musikmarkt und Medien unter dem Aspekt des technologischen Wandels  
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Eine interessante Bemerkung macht hierzu auch Justus Noll.

»Noch in den 70er Jahren hing der Schlagerhimmel voller Wir-Gefühl stiftender Geigen. Da aber der Schlagerkonsument akustische Background-Geigen nicht von synthetischen unter scheiden kann oder will, Hauptsache er hört seinen Udo (z. B Jürgens) im Vordergrund, drohte paradoxerweise auch beim Schlager eine fast vollständige Enthumanisierung des Studiobetriebs« (Noll 1994, 20).

Die Entwicklung der Technik in den bisher beschriebenen Bereichen gibt meines Erachtens ein Beispiel dafür ab, wie Maschinen/Computer zunehmend Menschen ersetzen und wie diese Maschinen/Computer teilweise zum Maßstab für das Schaffen der Menschen werden. Niels Knolle berichtet in seiner Schrift »HUMAN OUT und MIDI IN?« von einem speziellen Aspekt der Faszination über die Steigerung der eigenen Kräfte, Möglichkeiten und Fähigkeiten mit Hilfe des Computers, die die Natur des Menschen übersteigen; »die Verführung zur Eliminierung jeglichen Fehlers, d. h. zur Optimierung bis hin zur Perfektion« (Knolle 1993, 398). Genau diese Möglichkeiten bietet die Computerisierung der Musikwelt: fehlerhaft eingespielte Stellen innerhalb eines Musikstücks können nahezu problemlos ausgemerzt werden. War dies schon in der analogen Aufnahmetechnik seit Einführung des Mehrspurverfahrens in den späten Sechzigern möglich, besteht dennoch ein Unterschied hinsichtlich der Qualität und der Art des Bearbeitens von Fehlern. Bei der analogen Technik mußte der Musiker die fehlerhaften Stellen innerhalb eines Stückes so lange wiederholen, bis diese gemessen am Höreindruck des Aufnahmeleiters, korrekt gespielt waren. Der Musiker mußte also trotz aller Mehrspurtechnik die entsprechenden Stellen fehlerfrei spielen können, sonst konnte die Aufnahme nicht fertig gestellt werden. Es war im übrigen sehr schwer möglich, gravierende Fehler des Schlagzeugers auszubessern, d. h. dieser mußte allein mit Metronom/Click-Spur oder von der Rhythmusgruppe begleitet, bei etwaigen Fehlern das komplette Stück wiederholen. Mit Hilfe des Computers besteht dagegen die Möglichkeit auch Passagen aufzunehmen, die der jeweilige Musiker am Instrument ›eigentlich‹ nicht spielen kann. Darüber hinaus kann nicht nur dem menschlichen Höreindruck im Sinne der Fehlerfreiheit entsprochen werden, sondern es kann zeitlich exakt (hundertprozentig) ausgebessert werden.

Galt also in der Zeit vor der Einführung von Computern, MIDI und Digitaltechnik genaues Spiel als eine Leistung des Musikers, so wird Exaktheit zur Norm in Musikproduktionen der Gegenwart, da sie nicht mehr von persönlichen, sondern von technischen Möglichkeiten abhängt, die jetzt verfügbar sind. Dies kann zur Folge haben, daß der Hörer sich an das maschinengenaue Timing gewöhnt und dies möglicherweise auch ›live‹ bei Konzerten erwartet. Wenn heute bei Produktionen, die die ›Charts‹ stürmen sollen, ein ›handgespieltes‹ Schlagzeug bei der Aufnahme verwendet werden soll (was nur mehr selten vorkommen dürfte), so hat wahrscheinlich nur derjenige Schlagzeuger eine Chance, der annähernd im Sinne der Maschine exakt spielt, sonstige kreative Fähigkeiten scheinen derzeit dahinter zurückzustehen. Formale Exaktheit und der jeweilige Sound scheinen häufig wichtiger zu sein als der musikalische Inhalt.

»Diese zunächst eher nüchterne Tatsache, daß jeder Fehler in Timing und Tonhöhe, in Farbe und Bild, in Rechtschreibung und sprachlichem Ausdruck


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