- 65 -Weyde, Tillman: Lern- und wissensbasierte Analyse von Rhythmen 
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Universität eine ›Prosa-Version‹ des Anfangs von Mozarts g-Moll Sinfonie (KV 550) auf der Basis von Symmetrie-Überlegungen entworfen.37

37 Bernstein (1982, S. 105).

Auch wenn das Ergebnis für einen erfahrenen Musikhörer intuitiv überzeugend sein mag, sind diese Überlegungen doch nicht wissenschaftlich fundiert.

Das zweite Problem des Grammatikansatzes ist, daß Grammatiken allein weder zum Verstehen von Sprache noch von Musik ausreichen. James Meehan schreibt in Bezug auf semantisch basierte Ansätze der Sprachverarbeitung:

»Understanding language [...] requires an understanding of people; it has very much to do with cognitive psychology and very little to do with grammar.«38

38 Meehan (1980, S. 318).

Die Analyse von Sprachstrukturen auf der Basis von Semantik läßt sich aber nur schwer auf Musik übertragen, da die Definition einer Semantik von Musik kaum möglich ist. Musik kann zwar eine Bedeutung haben, es ist aber nicht klar, welcher Art diese Bedeutung ist und wie sie zu bestimmen wäre. Zumindest ist der Grad an intersubjektiver Übereinstimmung bezüglich der Bedeutung von Musik sehr viel geringer als bezüglich der Bedeutung von Sprache.

Beziehungen, die nicht im Ableitungsbaum enthalten sind, sind in einer Grammatik nicht in natürlicher Weise darzustellen. So schließen Lerdahl und Jackendoff Beziehungen, die nicht in einem Ableitungsbaum enthalten sind, explizit von ihrer ›Generative Theory of Tonal Music‹ aus.39

Gerade Wiederholungen und Variationen sind aber ein wesentlicher Teil der Struktur von Musik, auch wenn diese nicht im gleichen Zweig eines Ableitungsbaums erscheinen. Motivische Beziehungen in der Musik basieren darauf, daß Motive wiedererkannt werden und daß dieses Wiedererkennen Einfluß auf die wahrgenommene Struktur hat.

Eine Erklärung für den Status musikalischer Grammatiken könnte das Schema-Konzept im von Bruhn beschriebenen Sinne sein.40

Wenn man annimmt, daß es unter den Schemata, die beim Hören von Musik aktiviert werden, solche gibt, die grammatischen Regeln entsprechen, lassen sich grammatische Strukturen gut in ein umfassenderes Modell musikalischer Kognition integrieren. Die Betrachtung von Grammatiken im Sinne kognitiver Schemata ermöglicht eine sinnvolle Interpretation der Unterscheidung zwischen grammatischen und ungrammatischen Strukturen. Grammatische Strukturen einer Sprache entsprechen grundlegenden und allgemein akzeptierten Normen für den Aufbau von Sätzen. Abweichungen von diesen Normen erschweren die Interpretation, machen jedoch im künstlerischen Bereich oft den Reiz einer Wendung aus. Die Interpretation ungrammatischer Strukturen hängt von weiteren Parametern ab. In der Sprache ist dies vor allem die Semantik, in der Musik sind es die Aspekte der Harmonik, Rhythmik und Form, die in grammatischen Darstellungen nicht enthalten sind. Die Frage ist, wie diese weiteren Aspekte der Musik in einer Analyse zu untersuchen und zu berücksichtigen sind.

Trotz der Beschränkungen von Grammatiken, hat sich der Grammatikansatz als fruchtbar für die musikalische Analyse erwiesen. Insbesondere die Annahme einer hierarchischen Gliederung, die sich schon im Schenkerschen Analysemodell findet,


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