2.4.1. Hauptmanns Natur der Harmonik und der Metrik
Moritz Hauptmanns Abhandlung »Die Natur der Harmonik und der
Metrik«61
erschien bereits 1853 und behandelte als eine der ersten wissenschaftlichen
Abhandlungen intensiv das Thema Rhythmik und Metrik. Sein Ansatz beruht auf der
Hegelschen Dialektik und verwendet das Prinzip des Dualismus bei der Interpretation
rhythmischer Strukturen. Er geht von einem Zweiermotiv als Keimzelle aller Rhythmen
aus. Es besteht aus zwei Noten und kann
metrisch positiv oder
negativ sein, d.h. auf der
ersten Note betont oder auf der zweiten. Weitere Noten werden als Ersetzung einer Note
durch ein untergeordnetes Zweiermotiv interpretiert. Er erhält dadurch bereits für ein
Motiv aus drei Noten acht verschiedene Möglichkeiten der Gliederung in positive oder
negative Zweiermotive. Aus den Betonungen auf den verschiedenen Ebenen ergeben sich
differenzierte Betonungsmuster. Diese Betonungen korrespondieren nach Hauptmann mit
der metrischen Betonung, d.h. er beschreibt metrische Betonungen durch binäre
Bäume.
Obwohl Hauptmanns Werk seine umfangreiche Theorie ausführlich darstellt, stellt es
letztlich kaum praktische Werkzeuge zur Analyse zur Verfügung. Er beschreibt nicht, wie
die von ihm entworfenen Strukturen zu bestimmen sind. Er versucht vielmehr, eine
›Naturlehre‹ der Musik zu schaffen, indem er sich bemüht, bekannte Konzepte
zu systematisieren und auf elementare Begriffe zurückzuführen. Die Analyse
rhythmischer Verschachtelungen nach Hauptmanns System hat daher nur geringen
praktischen Nutzen. Wahrscheinlich hat sich seine Methode aus diesem Grund in
der Praxis nicht verbreitet, obwohl sie einflußreich für weitere Entwicklungen
war.
2.4.2. Riemanns System der Rhythmik und Metrik
Riemann versucht in seinem »System der musikalischen Rhythmik und
Metrik«62
,
eine Lehre der Anordnung von Motiven in melodische Einheiten aufzustellen.
Grundlegend für sein System ist dabei die achttaktige Periode. Die Bestimmung der
Motive sowie die Rückführung ihrer Beziehung und Anordnung auf das achttaktige
Schema sind der wesentliche Inhalt seiner Analyse. Auch wenn Regelmäßigkeit,
Wiederholung und Variation in der Wahrnehmung und Kognition von Musik
unbestritten eine wichtige Rolle spielen, so ist doch die Reduktion auf dieses eine Schema
häufig kritisiert worden. Riemann spricht bei der Darstellung seines Systems von
musikalischer Logik und der geistigen Aktivität beim Hören von Musik. Er wendet sich
damit gegen den aufkommenden psychologischen Positivismus, der sich als
Behaviorismus im 20. Jahrhundert durchsetzte. Eine Trennung der Ebenen von Werk,
Ausführung und Wahrnehmung nimmt er aber noch nicht vor, er wäre damit seiner Zeit
auch weit voraus gewesen, sondern wechselt implizit beständig zwischen diesen
Ebenen, um aus einer Kombination von Beobachtungen und Spekulationen
auf diesen verschiedenen Ebenen eine ›richtige‹ strukturelle Beschreibung zu
finden.
Riemann wendet sich gegen die Anwendung des Systems der griechischen Versfüße auf
die Musik, da sie auf einer kleinsten rhythmischen Zeiteinheit beruhen,