- 18 -Weyde, Tillman: Lern- und wissensbasierte Analyse von Rhythmen 
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Stücke findet sich auch Musik ohne Grundschlag. Trotzdem sind immer Rhythmen hörbar. Die Wahrnehmung von Rhythmen setzt also die Wahrnehmung eines Metrums nicht zwingend voraus.

Riemann sieht Grundschlag und Metrum im Gegensatz zu Hauptmann als indirekt bestimmte Größen. Die Grundschläge, schreibt er, »gewinnen unter allen Umständen erst reale Existenz durch ihre Inhalte«26

26 Riemann (1903, S. 8).

, d.h. durch die klingenden Noten. Die Metrik entwickelt sich nach seiner Theorie aus den Beziehungen der Noten und Motive untereinander. Auch die Takteinteilung hängt, wie Riemann feststellt, »vom konkreten Inhalte ab, von den thematischen Motiven«.27

27 Riemann (1903, S. 13).

Diese Position entspricht zwar der Betrachtung aus Sicht der Wahrnehmung, wird aber von Riemann nicht explizit auf diese bezogen. Er schränkt im Gegenteil die Bestimmung der Takteinteilung durch die musikalischen Inhalte wieder ein, denn er legt sich auf ein auftaktiges Schema als Grundlage aller Rhythmik fest. Diese Verbindung von Metrum und Motiven ist jedoch problematisch, wie bereits Wiehmayer kritisierte:

»Riemann begeht in seiner Definition den folgenschweren Irrtum, den Takt (das Grundmetrum also) nicht metrisch sondern rhythmisch aufzufassen.«28

28 Wiehmayer (1935, S. 6).

Die Problematik besteht vor allem darin, daß es zwischen der durch den Hörer empfundenen und erwarteten Regelmäßigkeit, die sich im Metrum darstellt, und der tatsächlichen Ausprägung der rhythmischen Motive und ihrer Beziehung keine klare Trennung gibt. Das vom Hörer erwartete und empfundene Metrum hat zwar Einfluß auf die Wahrnehmung von Motiven und Gewichtung der Noten, aber es ist doch nicht damit gleichzusetzen. Die fehlende Differenzierung der Wahrnehmungsebenen führt dazu, daß Riemanns Theorie wesentlichen Aspekten der Rhythmik nicht gerecht wird. Die Unabhängigkeit von Rhythmus und Metrum, die er zuvor postuliert hatte, wird hier wieder aufgegeben.

Spätere Theoretiker lösten sich von diesem Zwang zur Vereinheitlichung von Rhythmik und Metrik. Schenker formuliert den Zusammenhang so:

»Metrik ist absolut, das Zeit-Schema an sich, der Rhythmus ist relativ, das besondere Spiel der Wort- und Tonfolgen innerhalb dieses Zeitschemas.«29

29 Schenker (1935, S. 183).

Auch er betont die Abhängigkeit der rhythmischen Organisation vom musikalischen Inhalt: »Wie die Metrik ist auch die Rhythmik an die Kontrapunkte gebunden [...].«30

30 Schenker (1935, S. 189).

Wie genau dieser Zusammenhang beschaffen ist, bleibt bei Schenker allerdings offen. Für ihn stehen Fragen linearer melodischer und harmonischer Zusammenhänge im Mittelpunkt, und er berührt rhythmische Fragen nur am Rande.

Cooper und Meyer versuchen bereits eine stärker psychologische Bestimmung ihrer Theorie und sehen die Beziehung von Grundschlag, Metrum und Rhythmus differenzierter:


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