Stücke
findet sich auch Musik ohne Grundschlag. Trotzdem sind immer Rhythmen hörbar. Die
Wahrnehmung von Rhythmen setzt also die Wahrnehmung eines Metrums nicht
zwingend voraus.
Riemann sieht Grundschlag und Metrum im Gegensatz zu Hauptmann als indirekt bestimmte
Größen. Die Grundschläge, schreibt er, »gewinnen unter allen Umständen erst reale Existenz durch
ihre Inhalte«26
,
d.h. durch die klingenden Noten. Die Metrik entwickelt sich nach seiner Theorie aus den
Beziehungen der Noten und Motive untereinander. Auch die Takteinteilung
hängt, wie Riemann feststellt, »vom konkreten Inhalte ab, von den thematischen
Motiven«.
27
Diese Position entspricht zwar der Betrachtung aus Sicht der Wahrnehmung, wird
aber von Riemann nicht explizit auf diese bezogen. Er schränkt im Gegenteil die
Bestimmung der Takteinteilung durch die musikalischen Inhalte wieder ein, denn er legt
sich auf ein auftaktiges Schema als Grundlage aller Rhythmik fest. Diese Verbindung
von Metrum und Motiven ist jedoch problematisch, wie bereits Wiehmayer
kritisierte:
»Riemann begeht in seiner Definition den folgenschweren Irrtum, den Takt
(das Grundmetrum also) nicht metrisch sondern rhythmisch aufzufassen.«28
Die Problematik besteht vor allem darin, daß es zwischen der durch den Hörer
empfundenen und erwarteten Regelmäßigkeit, die sich im Metrum darstellt, und der
tatsächlichen Ausprägung der rhythmischen Motive und ihrer Beziehung keine klare
Trennung gibt. Das vom Hörer erwartete und empfundene Metrum hat zwar Einfluß auf
die Wahrnehmung von Motiven und Gewichtung der Noten, aber es ist doch nicht damit
gleichzusetzen. Die fehlende Differenzierung der Wahrnehmungsebenen führt dazu, daß
Riemanns Theorie wesentlichen Aspekten der Rhythmik nicht gerecht wird. Die
Unabhängigkeit von Rhythmus und Metrum, die er zuvor postuliert hatte, wird hier
wieder aufgegeben.
Spätere Theoretiker lösten sich von diesem Zwang zur Vereinheitlichung von
Rhythmik und Metrik. Schenker formuliert den Zusammenhang so:
»Metrik ist absolut, das Zeit-Schema an sich, der Rhythmus ist relativ, das
besondere Spiel der Wort- und Tonfolgen innerhalb dieses Zeitschemas.«29
Auch er betont die Abhängigkeit der rhythmischen Organisation vom musikalischen
Inhalt: »Wie die Metrik ist auch die Rhythmik an die Kontrapunkte gebunden
[...].«30
Wie genau dieser Zusammenhang beschaffen ist, bleibt bei Schenker allerdings offen. Für
ihn stehen Fragen linearer melodischer und harmonischer Zusammenhänge im
Mittelpunkt, und er berührt rhythmische Fragen nur am Rande.
Cooper und Meyer versuchen bereits eine stärker psychologische Bestimmung ihrer
Theorie und sehen die Beziehung von Grundschlag, Metrum und Rhythmus
differenzierter: