die Musik in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingreifen.
Die neuen Klangkonstruktionen gehen einher mit dem Wunsch nach neuer
gesellschaftlicher Konstruktion: Eine Erneuerung der Gesellschaft durch eine
neue Tonsprache liegt in der Zielsetzung bekannter Techno-Musiker – alles
Ansätze, die ähnlich schon in den jedoch extremeren Absichtserklärungen und
Forderungen der Futuristen existierten. Der in den vorangegangenen Kapiteln
dargestellten und öffentlich gemachten, oft befremdeten Annäherung an das Neue
bei Techno setzen Musiker besonders in der Anfangsphase von »technoider
Clubmusik«136
136 Budde, Dirk: Elektronische Tanz- und Unterhaltungsmusik. In: Rösing / Phleps:
Populäre Musik im kulturwissenschaftlichen Diskurs. Karben: Coda. 2000. S. 59
ff.
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konkrete Meinungen gegenüber. In Interviews geben sie Einblick in Handlungsmotivationen
und Hintergründe. Zwischen den Zeilen der Musikerstellungnahmen geht
hervor, dass das weite, unbeschriebene Feld technischer Möglichkeiten
Vorurteile und Verunsicherung hervorruft und dass »Vertreter der alten
Garde«137
137 Schwebel, Thomas: Spaß haben, ernsthaft bedacht. Die Zeit, Nr. 38, 16. 9.
99.
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akustischer Musik Authentizität und Wärme zusprechen, während in Bezug auf Techno
als vermeintlich ausdrucksloser Musik häufig von Künstlichkeit und Kälte die Rede ist.
Die Stellungnahmen der Musiker dienen in erster Linie zur Vermittlung eines klaren und
besseren Verständnisses für Techno-Musik.
Westbam138
138 Zu den im vorliegenden Text erwähnten Musikern liegen mehr Informationen im 3.
Kapitel vor.
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, mit
bürgerlichem Namen Maximilian Lenz, formuliert mit Rainald Goetz Gedanken über die Zukunft von
Techno House139
139 Westbam verwendet den Begriff Techno-House im Sinne des allgemein geläufigen
Techno-Begriffes. Detroit-Techno bezeichnet er als Electrofunk.
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,
indem er 1991 den Zusammenbruch der Techno-Entwicklung prognostiziert, in der
Kraftwerk die Antike der elektronischen populären Musik und Techno House ihr Mittelalter
darstellten.140
140 Westbam: Techno Mittelalter. In: Westbam mit Rainald Goetz: Mix, Cuts & Scratches,
Berlin: Merve 1997.
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Für ihn steht die Musik Kraftwerks unter Einbindung von Fahrrad-, Taschenrechner-,
Telefon-, und Eilzuggeräuschen in der Tradition des italienischen Futurismus. Mit Vocoder,
Beatbox und Analogsynthesizerklängen hat nach Westbam die berühmte Musiker-Formation
die Zukunft vertreten und den Futurismus in die Charts gebracht, was er mit
Populärkultur gleichsetzt. Noch zwanzig Jahre später schöpften Musiker aus diesem
»Zukunftswaffenarsenal«.141
141 Westbam. A.a.O., S.85.
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Den Rückgriff auf veraltete Technologien zur Produktion von Techno beschreibt der
Berliner Techno-Macher als schwer vereinbar mit dem »futuristischen Hass auf alles
Vergangene«142
und als Mangelerscheinung, die sich im europäischen Techno zur eigenständigen Ästhetik
entwickelt habe. Electro-Funk sieht er als Übersetzung des Konzeptes elektronischer
Tanzmusik Kraftwerks in eine Musik mit kostenerschwinglichen und praktizierbaren
Technologien. Jedoch registriert Westbam an diesem Punkt der Entwicklung eine
massive Überladung, in der Kraftwerk und der Futurismus nur noch als Echo erscheinen.
Vor diesem Hintergrund hofft der erfolgreiche Musiker auf das Einsetzen einer Moderne:
»Die Moderne der populären elektronischen Musik steht noch aus. Mein Orakel: bis 1995
wird house music im engeren Sinne Vehikel dieser Entwicklung bleiben. Dann
Zusammenbruch, Überraschung: die Moderne
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