- 79 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Béla Bartók

Béla Bartók schrieb für seinen zweiten Sohn in den Jahren 1926 -1937 ein Schulwerk für Klavier. In den 156 Stücken des "Mikrokosmos" 12 geht es natürlich um die Entwicklung einer Klaviertechnik. Das Wachsen der technischen Schwierigkeiten verbindet sich aber zugleich mit einer Satz- und Kompositionslehre. Wer sich mit diesem Werk beschäftigt, begreift bald, daß es sich nicht um eine spezielle Klavierangelegenheit handelt. Wir meinen, daß bei rechter Mittlerschaft vieles davon für eine elementare Musikerziehung sowohl im Sinne einer sachlichen Lehre als auch zur Gewinnung eines persönlichen Verhältnisses zur Musik gültig sein kann.

Es ist z.B. möglich, die Stücke des ersten Heftes ganz vom Singen her aufzuschließen. Die darin ausgeführten musikalischen Exempel, die melodischen Bewegungen und zweistimmigen Verzahnungen, können, als Aufgabenstellung formuliert, auch von Anfängern auf dem Orffschen Instrumentarium improvisiert oder neu geformt werden. In den weiteren Heften gibt es, bei aller konstruktiven Ausnutzung des Tonmaterials und profilierter Formdisposition, genügend Beispiele, die den naiven Hörer unmittelbar berühren oder die sich durch treffende Hinweise seinem Verständnis schnell öffnen, z.B.: "Melodie im Nebel", oder "Ringen", oder "Bulgarischer Rhythmus". Wie geht es bei dem Stück "Ringen" zu? Es weckt leibhafte Vorstellungen. Ein Ton beharrt und die anderen Stimmen kreisen um ihn herum. Der stehende Ton wechselt seine Position und wieder versuchen die anderen Stimmen ihn zu bezwingen, ihn zu verdrängen, ihn zu übertönen. Die dissonanten Reibungen werden schärfer, die Rhythmen kürzer, das Ringen wird härter bis - unbezwungen - alles in Harmonie endet. Die tonsinnliche Ausführung eines jeden verständlichen Vorganges, nämlich dem des Ringens, hat Hautnähe und ist doch Vergeistigung zugleich. - Der "Bulgarische Rhythmus" im Siebenachteltakt öffnet die Grenzen eines festgelegten metrisch-rhythmischen Volksmusizieren zu weiteren Aspekten rhythmischer Vielfalt. Wenn Jugendliche, durch dieses Beispiel angeregt, einen Siebenachteltakt auf dem Knie schlagen lernen, um über diesem Grundmaß frei fantasierend zu pfeifen, haben sie eine neue Freiheit im Musikalischen gewonnen und die Technik der Tanzmusikanten im Südosten sich lustvoll zu eigen gemacht.

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